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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
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schenken konnte, dann hatte Kalli Carstensen wohl kaum Freunde gehabt.
      »Und was ist mit dem Bruder? So'n Erbstreit ist ja wohl ein starkes Motiv. Ging doch sicher um viel Geld. Den haben wir uns noch gar nicht vorgeknöpft.«
      »Um den kümmert sich der Kommissar«, beruhigte Haie den Freund.

7

    Sophie Carstensen saß am Küchentisch und starrte aus dem Fenster. Es war ein trüber Tag, der Himmel wolkenverhangen. Die Äste der Bäume, an denen herbstlich rot-gelbe Blätter hingen, wurden durch den starken Wind mächtig hin und her gerissen. Sie wirkten willenlos, stellten sich dem Angriff nicht entgegen, trotzten nicht. Die Natur hatte es automatisch so eingerichtet, dass das Geäst sich dem Willen der Naturgewalt beugte, zum Schutz seiner selbst. Um nicht sofort zu zerbrechen.
      Sie stand auf und bereitete sich einen Tee zu. Umständlich hob sie mit dem verbundenen Arm den Kessel mit dem heißen Wasser an. Dann setzte sie sich zurück an den Tisch. Ulf war am Vormittag nach Niebüll zum Bestatter gefahren. Die Leiche war freigegeben, nächste Woche sollte die Beerdigung sein. Ihr Sohn würde sich um alles kümmern. Sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie war wie gelähmt. Gelähmt vom Tod ihres Mannes, den Fragen der Polizei, dem angeblichen Mordverdacht, den zahlreichen Telefonaten.
      Irmtraud hatte sie am Morgen angerufen. Wie es ihr ginge, hatte sie gefragt. »Geht schon«, hatte Sophie Carstensen schwach in den Hörer gehaucht. Ob sie Hilfe benötige, ob man etwas für sie tun könne. Sie hatte nur mit dem Kopf geschüttelt, nicht bedenkend, dass die Schwägerin ihre Reaktion nicht sehen konnte. Eine Träne hatte sich aus ihrem Augenwinkel gelöst. Sie hatte sie nicht weggewischt, sondern mit geschlossenen Lidern den Weg des Tropfens auf ihrer Wange verfolgt, bis er auf den abgetretenen Teppichfußboden gefallen war.
      Wer konnte ihr schon helfen? Ihr Leben war mehr als aus den Fugen geraten. Es war auch vor Kallis Tod nicht einfach gewesen. Sie war Kummer gewohnt. Doch was sollte nun werden? Aus ihr, dem Sohn, dem Hof? Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, gleich dem Wind draußen vor dem Fenster, der über das Land fegte und alles mit sich nahm. Doch statt lediglich das Alte, Verblühte, Abgenutzte davonzutreiben, hinterließ er Unordnung und Verwirrung. Ebenso wie Kalli.
      Er hinterließ eine zerrüttete Familie, Ärger, Wut, Zorn. All das würde durch seinen Tod nicht einfach davongeweht werden. Der Streit, seine Gemeinheiten und miesen Spielchen. Man würde ihr mit Argwohn gegenübertreten. Schließlich lebte sie seit Jahren mit ihm unter demselben Dach. Dass auch sie unter ihm gelitten hatte, wussten die Leute ja nicht, sollten es auch nicht wissen. Sie schämte sich, keine Stärke bewiesen zu haben. Sie war schwach. Zu schwach. Dabei hatte sie ursprünglich mehr aus ihrem Leben machen wollen. Einen Job suchen, eigenes Geld verdienen, Reisen, die Welt sehen. Doch irgendwie war alles anders gekommen als in ihren Träumen.
      Sie war 17, als sie mit Kalli zusammenkam. Die Schulzeit lag endlich hinter ihr, das Leben als Auszubildende zur Bürokauffrau fing gerade erst an. Dann wurde sie schwanger, und ihre Eltern drängten zur Heirat. Sie wusste, dass Kalli sie nur wegen des Kindes heiratete, nicht aus Liebe. Doch was hätte sie tun sollen? Der Druck der Familie war zu groß.
      ›Willst du einen Bastard zur Welt bringen? Was sollen denn die Leute denken?‹
      Ja, die Leute, um die war es gegangen. Nicht um sie. Aus mit den Träumen. Kein Job, kein Geld, keine Reisen. Waschen, putzen, auf dem Hof helfen. Das war fortan ihr Leben gewesen. Tagein, tagaus. Aus Risum-Lindholm war sie nie wirklich weggekommen, allerhöchstens mal bis nach Hamburg, und das auch nur für einen Tag. Abends musste ja das Essen auf dem Tisch stehen. Mann und Kind wollten versorgt sein.
      Und die Leute? Zerrissen sich trotz alledem den Mund. So'n junges Ding und schon schwanger. Die Heirat hatte rein gar nichts geändert. Ulf blieb nun einmal ein Sechs-Monats-Kind. Und je stärker sie sich bemühte, es allen und jedem recht zu machen, umso mehr verlor sie sich selbst.
      Sie trank einen Schluck Tee. Ihre Finger umschlossen fest den heißen Becher, jedenfalls die der gesunden Hand. Die anderen lagen in einem weißen Gipsverband und warteten auf Heilung. Doch auch wenn die Knochen wieder zusammengewachsen waren, Narben würden bleiben.

    Nach dem Mittagessen wollte Dirk Thamsen eigentlich noch Ole

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