Friesenrache
immer noch so peinlich. Sie hat kaum Fragen gestellt.«
»Hat sie sonst etwas erzählt?«
»Nee, ich glaub, sie war froh, als ich wieder abge
hauen bin. Hat nur immer wieder gesagt, Friedhelm habe das nicht so gemeint, was er da in der Gastwirtschaft gesagt hat. Er sei halt betrunken gewesen.«
»Na ja«, bemerkte Tom skeptisch, »im Wein liegt Wahrheit. Das wird bei Korn und Bier nicht unbedingt anders sein. Also, ich wäre mir nicht so sicher, ob das nicht den Tatsachen entsprochen hat, was Friedhelm Carstensen da zum Besten gegeben hat.«
Er lenkte den Wagen die Auffahrt zu Ernst Lorenzens Hof hinauf. Der Landwirt war einer der Verlierer des in der Gastwirtschaft betriebenen Glücksspiels und stand deshalb auf Haies Liste.
Tom parkte vor dem Tor einer baufälligen Scheune und stieg aus. Noch ehe er die Wagentür hinter sich geschlossen hatte, vernahm er ein knurrendes Geräusch. Erschrocken fuhr er herum. Vor ihm saß ein riesiger, schwarzer, zotteliger Hund mit gefletsch ten Zähnen. Reflexartig hob er die Hände. Seit frühester Kindheit ängstigte er sich vor diesen Tieren. Er konnte nicht einmal genau sagen, woher diese Angst stammte, hatte eigentlich keinerlei schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht. Dennoch hielt er sie schlichtweg für hinterhältig und unberechenbar.
»Hasso aus!« Eine Frau war zwischenzeitlich, angelockt durch das fremde Motorengeräusch, aus der Scheune getreten und versicherte, dass der gefährlich wirkende Hund absolut harmlos sei. Tom senkte dennoch nur langsam wieder seine erhobenen Arme und ließ das Tier dabei nicht aus den Augen.
»Moin Karla«, begrüßte nun Haie die schmächtige Frau in der geblümten Kittelschürze.
»Moin Haie. Was verschlägt dich denn hierher?«
»Wir wollten zu Ernst. Ist er da?«
Die Hofbesitzerin schüttelte bedauernd den Kopf. Ihr Mann sei draußen im Koog. Es sei schließlich Erntezeit. Die letzten Felder mussten gemäht werden. Da war der Landwirt von morgens früh bis abends spät schwer beschäftigt.
»Was wollt ihr denn von ihm?«
»Och«, Haie versuchte, den Anlass ihres Besuches möglichst belanglos klingen zu lassen. »Wir müssten einen Blick auf euren Wagen werfen. Der Ernst ist doch dienstags auch immer beim Stammtisch.«
»Ja, ja«, bestätigte sie, fügte jedoch gleich die Frage an, was denn ihr Wagen mit dem Stammtisch zu tun habe. Ihr Mann fahre schließlich immer mit dem Fahrrad in die Gastwirtschaft.
»Reine Routine«, antwortete Haie und ließ sich von Karla Lorenzen zur Garage führen. Tom folgte den beiden in einigem Abstand, wobei er sich immer wieder nach dem riesigen, schwarzen Hofhund umdrehte.
Der rote Opel Astra von Ernst Lorenzen stand unversehrt in der breiten Doppelgarage, die sich direkt neben dem Wohnhaus anschloss.
»War der Wagen in den letzten Tagen in der Werkstatt oder habt ihr ihn sonst wo zur Reparatur gegeben?«
Die Frau in der Kittelschürze verneinte und blickte interessiert auf Haies Liste, auf welcher er einige Notizen vermerkte.
»Spielt ihr wieder Hilfspolizei, oder was machst du da?« Sie grinste.
»Na ja«, erklärte Haie den Umstand, dass sie einige Ermittlungen im Mordfall Kalli Carstensen durchführten. »Die Polizei ist chronisch unterbesetzt. Weißt ja, wie das im öffentlichen Dienst ist. Überall wird gespart. Wir übernehmen nur kleine Überprüfungen. Nichts Wildes. Dafür sind wir ja auch gar nicht ausgebildet.« Er grinste zurück.
Tom war überrascht, wie leicht Haie diese kleine Notlüge über die Lippen ging. Und das, wo er doch ein absoluter Verfechter der Wahrheit war.
»Halt du mir noch mal einen Vortrag übers Lügen!«, zischte er dem Freund zu, nachdem sie sich verabschiedet hatten und zu ihrem Wagen zurückgingen.
Da sie sowieso schon im Herrenkoog waren, schlug Haie vor, bei Sophie Carstensen vorbeizuschauen.
»Bei der Witwe? Was soll die denn mit dem Mord zu tun haben?«
Sein Freund blickte starr geradeaus durch die Windschutzscheibe, als er von Marlenes Theorie der sich rächenden Ehefrau berichtete.
»Marlene? Du hast mit ihr gesprochen?«
Haie nickte.
»Und?«
»Was und?«, entgegnete er.
»Na, was hat sie gesagt? Wie geht es ihr? Wann kommt sie zurück?« Die Fragen sprudelten nur so aus Tom heraus, und Haie hatte Mühe, ihm zu erklären, dass der Streit zwischen den beiden eigentlich nicht der Grund für ihren Anruf gewesen
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