Friesenrache
Carstensens ein plausibles Motiv. Und wer wusste schon, ob der Vater sich nicht auch an dem Sohn vergangen hatte? Bisher war zwar immer nur die Rede von Tätlichkeiten gegen Sophie Carstensen. Das hieß aber nicht, dass nicht auch der Sohn Prügel von Kalli Carstensen bezogen hatte. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem er dem Vater körperlich überlegen gewesen war.
Er griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer der Kollegen in Kiel. Thamsen fischte in der beinahe aufgeweichten Pappschale nach den letzten Wurststücken, während er wartete, dass am anderen Ende der Leitung endlich abgehoben wurde.
»Steffensen?«
»Manfred, ich bin's, Dirk. Habt ihr schon die Proben von Ulf Carstensen bekommen?«
Er vernahm ein Schnauben aus dem Hörer.
»Ich weiß, ich weiß, ihr habt alle Hände voll zu tun«, versuchte er den Kollegen zu besänftigen, noch ehe dieser das Klagelied von unzähligen Tests und Untersuchungen anstimmen konnte. Er war auf die Arbeit der Mitarbeiter der KTU angewiesen, da war es ratsam, sich gut mit ihnen zu stellen.
»Ich hab die Sache vorhin auf'n Tisch bekommen, aber momentan bin ich noch mit den Bodenanalysen beschäftigt. Der gute Herr Christiansen hatte nämlich jede Menge Dreck an seinen Stiefeln.«
Thamsen nickte gewohnheitsmäßig. Die Analyse der Spuren, die den ehemaligen Dorfbewohner betrafen, erschien ihm momentan allerdings nicht mehr ganz so dringend. Barne Christiansen würde ihnen schon nicht davonlaufen. Bei Ulf Carstensen hingegen war er sich nicht ganz so sicher.
Er schilderte Manfred Steffensen kurz den Stand der Ermittlungen und bat ihn, den DNA-Test des Sohnes vorzuziehen.
»Is' gut, aber dauern wird's trotzdem ein wenig. Ich melde mich bei dir, sobald ich die Ergebnisse habe.«
Er bedankte sich, legte auf und drehte sich zum Fenster. Draußen schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel, und er überlegte, welche weiteren Schritte er außerhalb des Büros angehen konnte. Das Haus der Carstensens war auf Spuren und Beweise untersucht worden, die Kollegen arbeiteten auf Hochtouren an den Auswertungen. Alle Verdächtigen waren verhört, Befragungen der Dorfbewohner durchgeführt. Beinahe alle Maßnahmen zur Aufklärung des Falls waren abgehakt, aber noch immer hatten sie den Täter nicht überführen können.
Allerdings war sich Thamsen relativ sicher, dass Ulf Carstensen etwas mit dem Mord an seinem Vater zu tun hatte. Sie brauchten nur abzuwarten, über kurz oder lang würden sie ihm das Verbrechen schon nachweisen können. Vielleicht sollte er sich noch einmal bei den Dorfbewohnern umhören, wie die den Sohn des Opfers einschätzten. Er sah sich bereits wieder in der kleinen Gastwirtschaft zwischen den wortkargen Gästen, denen er beinahe jedes Wort aus der Nase ziehen musste, und stöhnte leise auf.
»Na, das Verhör scheint ja anstrengend gewesen zu sein, hm?«
Der Kommissar fuhr erschrocken auf seinem Stuhl herum und stieß dabei gegen die Pappschale mit den Resten der Currysoße, die natürlich genau mit der umgedrehten Seite – wie sollte es auch anders sein – auf seiner Hose landete.
»Mist!«, schimpfte Thamsen und entfernte mit spitzen Fingern die soßenverschmierte Schale. Er war so in die nächsten Ermittlungsschritte vertieft gewesen, dass er Tom und Haie gar nicht gehört hatte. Die beiden standen mit belustigten Mienen vor seinem Schreibtisch, während er versuchte, die rote, dickflüssige Masse von seiner Hose zu wischen. Doch der Fleck wurde nur größer, und er ärgerte sich, den Restmüll nicht sofort entsorgt zu haben, nachdem er aufgegessen hatte.
»Da hilft nur Fleckenmittel«, beurteilte Haie fachkundig den Zustand der Hose, »und nach dem Waschen direkt in die pralle Sonne hängen. Das wirkt.«
Thamsen blickte erstaunt auf den anderen, der seine Kenntnisse über Wäschepflege mit einer kurzen und knappen Äußerung kommentierte: »Junggesellenerfahrung.«
Tom konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er vermutete, dass die schlauen Worte seines Freundes auf einem Tipp von Haies Exfrau Elke beruhten.
Sie nahmen vor dem Schreibtisch Platz und schauten erwartungsvoll auf den Kommissar. Für einen kurzen Augenblick entstand ein Schweigen zwischen ihnen, da alle Anwesenden anscheinend vom jeweils anderen erwarteten, dass dieser zuerst sprach.
»Also«, es war Thamsen, der schließlich als Erster das Wort ergriff, »was führt Sie zu mir?«
Die
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