Friesenwut - Kriminalroman
waren
sie einfach mit dem Bus zum Kolk ins Nachbardorf gefahren und spielten
Eishockey. Artur brachte irgend so einen Fusel mit, Jacobi 88, den tranken sie,
eine halbe Flasche reichte damals noch für drei, und hatten dabei einen
Heidenspaß. Die Entschuldigungen für die Lehrer zu bekommen, war verdammt
schwierig gewesen. Es hatte extrem gute Fertigkeiten im Bereich
›Urkundenfälschung‹ erfordert. War das lange her! Frank arbeitete einige Jahre
bei VW in Emden, Artur war Ingenieur geworden, hatte studiert, an einer kleinen
Hochschule im beschaulichen Wernigerode, der ›bunten Stadt am Harz‹, wie sie
sich nannte. »Mal ganz woanders hin und bloß keine Großstadt«, sagte er, doch
nur wenige trauten es ihm zu. Allerdings war er in Mathe und Physik immer recht
gut gewesen, das half. An die Uni wollte er nicht, ›zu theoretisch‹, an der FH
hingegen fühlte er sich richtig aufgehoben, er musste das, was er lernte,
unmittelbar ausprobieren, sonst war das nichts. Artur war damals der
Urkundenfälscher gewesen, die Lehrer hatten nichts gemerkt, er war eben gut.
Rainer bekam nach seinem Lehramtsstudium in Oldenburg über einen kleinen Umweg
tatsächlich eine Stelle an der Dorfschule in Manslagt. Sie hatten ihn zunächst
in die Osnabrücker Gegend geschickt. »Schwein muss man haben«, meinte er, denn
hierher wollte er immer zurück. Er hätte das selbst nie und nimmer erwartet,
dann lag der Brief im Kasten: ›Bezüglich Ihrer beantragten Versetzung von
Bramsche nach Manslagt können wir Ihnen nunmehr mitteilen …‹ und so weiter.
Darauf musste er einen ausgeben. Gestern Abend waren sie ins Klönen gekommen,
Frank erzählte von seinem neuen Job, den er am Borkumkai in Emden angetreten
hatte. Dort, bei der Reederei, half er beim Be- und Entladen der Borkumfähren.
Gerade wenn es in Nordrhein-Westfalen große Ferien gab und die Binnenländer
sich nach Hochseeluft auf Borkum sehnten, war unglaublich viel zu tun. ›Sie
kommen!‹, hieß es dann am Borkumkai, aber Frank gefiel das rege Treiben und man
kam mit allerhand Gästen ins Gespräch. Wenn die Leute den Urlaub vor sich
hatten, waren sie meistens guter Stimmung – da fiel so manche nette oder
auch lustige Bemerkung. Bei einer kurzen Zigarettenpause hatte ihm ein
urlaubsreifer Borkumfan, der in einem VW Sharan mit seiner ebenso
nordseehungrigen Frau und drei Kindern auf die Aufforderung wartete, auf die
Fähre fahren zu können, das Lied vom ›Jupp‹ vorgespielt, der sein Leben lang
bei ›Krupp‹ gearbeitet hatte. Die Kinder, zwei Mädchen, ein Junge, hatten auf
der Rückbank einige Meinungsverschiedenheiten, aber die Eltern blieben
gelassen – der Urlaub stand bevor. So hatte Frank Gelegenheit, den
westfälischen mit dem ostfriesischen Humor zu vergleichen. Der Job gefiel ihm
prima und nach einigen Monaten Hartz IV war diese Stelle nicht nur
willkommen, sondern vor allem finanziell bitter nötig gewesen. Was plapperten
manche Politiker von den arbeitsunwilligen Stütze-Empfängern – ihm kam das
Grausen, wenn so undifferenziert dahergeredet wurde.
Rainer war in dieser
Hinsicht ebenfalls hochzufrieden. In anderer half sie ihm jedoch weniger. Nach
der Trennung von seiner Freundin durchlebte er harte Zeiten, er litt nach wie
vor sehr darunter. Wie viele Jahre war er dieser Frau hinterher gelaufen, hatte
sie immer geliebt, ja vergöttert. Ohne Reaktion. Und dann in der Disco, bei
›Meta‹ in Norddeich, trafen sie sich, zufällig und unerwartet. Sie tranken ein
paar Charly (›wie früher, obwohl das Zeug doch tödlich ist‹), waren sich
nähergekommen. Berührungen, die nicht zufällig waren. Schließlich umarmten sie
sich, tanzten, eng umschlungen – ›it’s too late to apologize …‹.
Obwohl beide zu viel getrunken hatten, waren sie mit dem Wagen nach Manslagt
gefahren, Rainer am Steuer. Sie verbrachten eine unvergessliche Nacht in Rainers
Wohnung. Danach schwebte er im siebten Himmel. Die sichere Lehrerstelle und
seine angehimmelte Liebe, was wollte er mehr vom Leben? Letzteres war nicht
immer geradeaus verlaufen. Er bekam den Eindruck, in dem Moment, als er nach so
langer Zeit mit ihr zusammenkam, den eigentlichen Sinn des Daseins zu erkennen.
Mit dieser Frau an seiner Seite würde er auf immer und ewig der glücklichste
Mensch auf Erden sein. Dessen war er sich sicher. Er dachte an den ersten
Spaziergang auf dem neuen Deich. Sie liefen über den gepflasterten Weg auf der
Deichkrone, Kilometer um Kilometer, auf der einen Seite die
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