Friesenwut - Kriminalroman
hatte das Gebäude mitsamt einigen
Hektar Land vor knapp drei Jahren gekauft, eine kleine, unerwartete Erbschaft
gemacht und sich entschieden, seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Marten Sommer
war ein zielstrebiger Mann und hängte seinen Job als Sachbearbeiter bei einer
Versicherung an den Nagel. Es würde etwa zwei bis drei Jahre dauern, in denen
er sicher nicht in Saus und Braus leben könnte, um den Hof auf Vordermann zu
bringen und erste Gewinne einzufahren. Der Hof war im Vergleich zu vielen der
großen Marschhöfe eher übersichtlich. Dies betraf das Wohn- und die
Stallgebäude ebenso wie das zugehörige Wirtschaftsland. Zwölf Hektar, damit
konnte man in Süddeutschland überleben, nicht aber hier im Norden, wo es nicht
wenige Höfe gab, deren Flächengröße zwischen 100 und 200 Hektar lagen, manchmal
sogar darüber.
Doch Marten Sommer war der
Meinung, dass nicht Quantität, sondern Qualität zählte. Konventionelle
Landwirtschaft kam für ihn nicht infrage, biologisch und ökologisch, das waren
anfangs seine Lieblingswörter gewesen. Gesund produzierte Produkte von kleinen
Flächen geerntet, waren sein Ziel. Keine industrielle Produktion, wo riesige
Getreidemengen von Megaflächen unter einem gigantischen Verbrauch von
Rohstoffen einerseits und dem ebenso großen Einsatz von Herbi- und Pestiziden
andererseits mit Maschinen geerntet wurden, deren Größe bald an diejenigen der
Kohlebagger im Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt
heranreichten. Wenn er so redete, erntete er kritische Blicke oder seine
Zuhörer verdrehten die Augen. Manchmal, selten, kam Zuspruch. Immerhin –
und das lag nur an den ›Grünen‹, meinte Marten – konnte man heute mit
jedem, auch noch so verschrobenen konventionellen Bauern, über diese Themen
sprechen. Nicht immer sachlich, doch hatte sogar Meinhard Harms neulich
zustimmend genickt, als er meinte: ›Wir müssen endlich umdenken, immer mehr und
immer größer kann irgendwann nicht mehr funktionieren!‹
Marten bezog den Hof
nach Abschluss des Kaufvertrags. Er renovierte das Wohnhaus zumindest teilweise
und machte sich dann daran, die Stallgebäude in Schuss zu bringen. Dabei hatte
er die Renovierung des alten, lange Jahre nicht genutzten Kuhstalls leider
nicht ins Auge gefasst. Die Kälberställe waren, trotz des Bongossi-Holzes, in
einem ruinösen Zustand, da es jahrelang an einigen Stellen durch das Dach geregnet
hatte. Die Technik war veraltet, es schimmelte nicht nur in den Stallgebäuden,
sondern auch in Bad und Küche des Wohnhauses. Freunde machten ihn darauf
aufmerksam: »Marten, such dir etwas anderes – hier sitzt der Wurm drin, im
wahrsten Sinne des Wortes.« Doch Marten hatte sich in den Hof verliebt. Er
wollte nur diesen. Zumal er aus dem Polder kam und über mehrere Jahre immer
nach Emden pendelte, um dort in dem großen Versicherungshaus zu verschwinden,
das ihn am späten Nachmittag wieder ausspuckte. Es war immer öfter spät
geworden, weil er Überstunden machte. Personaleinsparungen führten zu mehr
Arbeit pro noch vorhandener Arbeitskraft. Bezahlt wurden die Überstunden nicht,
und ein Betriebsrat war nicht existent. Die meisten waren froh, überhaupt einen
Job zu haben. Er auch. Marten ertappte sich immer öfter dabei, wie er nicht
strengen Blickes Sachschadenberichte prüfte, sondern seine Augen nach draußen
schweiften, in den blauen Himmel, wenn er denn mal blau war, in die Bäume …
Nein, lange würde er es nicht mehr aushalten, das wusste er. Aber was würde
nach der Versicherung folgen?
Die Erbschaft war
sein Ausweg. »Wenn nicht jetzt, dann gar nicht mehr«, sagte er sich und dachte
an Udo Lindenbergs ›Hoch im Norden‹: ›…sonst kommst du hier allmählich auf den
Seehund‹. Dann kamen die Kosten, viel höher als erwartet. Marten sah die
Entwicklung, glaubte aber an sich und seinen Plan. Er arbeitete Tag und Nacht
hart, schaffte es, die Einsaat rechtzeitig einzubringen und wusste um die
Notwendigkeit regelgerechter Pflege und Bearbeitung seiner Felder. Die
Investitionen, die, neben den Renovierungsarbeiten, für die Bearbeitung der
Felder, das Düngen, den Dieseltreibstoff und vieles andere fällig wurden,
erreichten Grenzwerte. Marten wusste, dass die Rechnungen bald kaum noch zu
bezahlen wären. Doch er glaubte an sich und seinen Plan. Das hier war das
Leben, ein echtes, wahrhaftiges, nicht das andere! Und anpacken konnte
er – daran zweifelte niemand. Er ließ in der Bank durchblicken, dass er
Geld
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