Friesenwut - Kriminalroman
und Sie haben ihn laufen lassen. Sie müssen ihn kriegen – so
schnell wie möglich!« Eilsen sah die beiden Polizisten beinahe verzweifelt an,
jedenfalls passte sein Gesichtsausdruck in diesem Augenblick nicht zu der Wut,
mit der er ins Zimmer gebraust war.
»Wir sind ja dabei, eine
Großfahndung ist eingeleitet«, Tanja Itzenga sprach weiterhin ruhig und
bestimmt.
»Und?«
»Nichts«, sagte Ulferts.
»Bisher«, ergänzte Itzenga
schnell.
»Schlimm genug. Der hat sich doch
nicht in einen Maulwurf verwandelt. Wozu sind wir in Ostfriesland. Hier kann
man samstags schon sehen, wer am Sonntag zum Tee kommt, verdammt noch mal, so
platt ist dieses Land. Und Sie finden einen Verbrecher nicht, der am
helllichten Tage quasi durch die Hintertür flüchtet! Wenn ich dürfte, dann
würde ich …« Eilsen hielt inne. Sauer durfte er sein, wütend. Keinesfalls
jedoch ausfallend. Nicht als Chef. Er biss sich auf die Zunge.
»Sommer kennt die Gegend wie seine
Westentasche. Vielleicht sitzt er in irgendeiner verlassenen Scheune, im Schilf
an einem Tümpel, was weiß ich …« Ulferts zuckte die Schultern.
Jetzt explodierte Eilsen:
»Nein, nix da,
›was-weiß-ich‹, Kollege Ulferts. Es ist keinesfalls egal, wo er ist. Und Sie
werden nicht eher ruhen, bis Sie das wissen und ihn mitbringen. Wir haben uns
verstanden! Basta!« Eilsen verließ mit hochrotem Kopf und eindeutiger Gestik,
dabei zusätzlich die Tür knallend, das Büro. Zurück blieben eine verstörte
Tanja Itzenga und ein ratloser Ulfert Ulferts. Einige Zeit sagte niemand etwas.
»Mann, was ist dem denn über die
Leber gelaufen?«, murmelte Ulferts schließlich.
»Der Fall ist einfach nicht mein
Ding. Er hat mir nie gelegen«, meinte Itzenga. »Ich weiß nicht, woran es liegt,
aber es funktioniert einfach nicht so, wie ich will«, setzte sie beinahe
entschuldigend hinzu. Das Schlimmste war, das Eilsen schlicht und einfach recht
hatte, das wurmte, das tat schon weh. Ihre Berufsehre war arg angekratzt und
sie hätte nie gedacht, dass sie das einmal so stören würde wie jetzt gerade in
diesem Augenblick. Ausgerechnet ihr mussten so blöde Fehler unterlaufen.
»Da ist der Wurm drin, so’n
büschen zumindest«, pflichtete Ulferts ihr bei. Er konnte derartige Situationen
mit einer Gelassenheit sehen, die Tanja schon immer bewundert hatte. War
einfach nicht aus der Ruhe zu bringen, der etwas übergewichtige Mann vor ihr.
»Scheiße aber auch!«, rief sie und
warf im gleichen Augenblick einen Kuli quer durchs Zimmer.
Ulferts sah erschrocken auf,
erwiderte dann gelassen: »Wenn du meinst«, hob den Kuli auf und legte ihn vor
Tanja Itzenga wieder auf den Tisch.
»Und nun?«, fragte sie etwas
ruhiger.
Ulferts war ganz in seinem
Element, die Vorgesetzte bat ihn um Hilfe.
»Großfahndung ausdehnen«, begann
er, ȟber Niedersachsen, Bremen, Hamburg hinaus. Wenn Sommer sich ein Auto
besorgt hat, kann er schon weit sein. Also internationale Fahndung.«
»Holland?«
»Mann, Tanja, was ist los? Die
Niederländer wissen noch nicht Bescheid? Das liegt gleich nebenan – der
ist in kurzer Zeit dort! Ich rufe sofort Huizinga an, mit dem kann man reden!«
»Der Huizinga, mit dem wir damals
die Drogenschmuggler in Nieuwe Schans geschnappt haben? Die armen Socken. Die
hatten doch kaum etwas dabei. Das bisschen Haschisch.«
»Genau der Huizinga.«
»Netter Kerl.«
»Ist jetzt Hauptkommissar, in
Groningen. Commissaris heißt das bei den Niederländern.«
»Klingt gut. Also, ruf ihn an. Ich
mach den Rest.«
»Okay«, Tanja Itzenga schien schon
wieder in ihrem Element zu sein, dachte Ulferts. »Wo mag Sommer wohl jetzt
stecken? Ist ihm etwas zugestoßen?«
»Was du immer denkst. Ich habe
keinen Schimmer. Vielleicht ist er pfiffiger, als wir dachten, der Herr
Ökolandwirt.«
27
Rehna und Menno
Reemts liefen durch die langen Flure des Krankenhauses. Freyas Zustand hatte
sich weiter stabilisiert. Es bestand nach Auskunft der Ärzte längst keine
Lebensgefahr mehr, sie hatten sie von der Intensivstation in ein Krankenzimmer
verlegt, das eine ausreichende maschinelle Versorgung dennoch gewährleistete.
Aufgewacht war sie indes noch nicht.
Rehna und Menno setzten sich
schweigend an ihr Bett. Rehna begann, mit Freya zu sprechen, flüsterte ganz nah
in das Ohr ihrer Tochter. Gleichzeitig streichelte sie vorsichtig deren Hand,
die linke, die rechte war verbunden. Sie hatte gebrochene Fingerknöchel, der
Arm war ausgerenkt und das Schlüsselbein
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