Friesenwut - Kriminalroman
Leipzig. Er war mit dem Zug in die Hansestadt gekommen. Am Kreuz
Bargteheide würden sie abbiegen, A 21 Richtung Kiel, Landeshauptstadt. Derk, einer
der sechs aus alten Zeiten, wohnte seit Neuestem in einem kleinen Ort nicht
weit von Neumünster. Er fand eine Anstellung bei der Stadt, reiner Zufall, gab
es doch schon etliche Jahre einen Einstellungsstopp. Die Ausschreibung der
Stadtverwaltung Neumünster entdeckte er durch puren Zufall im Internet und
bewarb sich, mehr spaßeshalber. So konnte es gehen im Leben. Nun hatte er den
Job. Bestimmte Bereiche konnte man bei allen Sparbestrebungen nicht unbesetzt
lassen und so wurden ab und an noch neue Leute gesucht. Die zwei Fehlenden
würden direkt zu Derk kommen. Gerjet aus Hannover und Onno aus Leer. Sie waren
eingespannt in das Arbeitsleben und wollten an diesem Wochenende schlichtweg
entspannen, wandern gehen, an die Ostsee fahren, ein bisschen Wellness und über
Gott und die Welt quatschen. Möglicherweise hielt sich gerade mal wieder Udo
Lindenberg wegen seiner Generalprobe am Timmendorfer Strand auf. Onno mochte
Lindenberg seit mehr als 30 Jahren, die der Kerl schon auf der Bühne stand.
Dass der noch einmal zurückkam auf die große Bühne, das war stark. Stark wie
zwei. So konnte man eventuell Ostseestrand und Event prima miteinander
verbinden.
Rainer freute sich mächtig auf diesen Termin,
einmal im Jahr. Er holte einen vollständig aus dem Alltagsgrau heraus, weit weg
von den Problemen der Schule, ein bisschen in eine andere, scheinbar
unkomplizierte Welt. Er musste endlich wieder ruhig werden. Sollte er allen
erzählen, was in der Krummhörn passiert war? Derk gegenüber hatte er schon
Andeutungen gemacht. Und auch wenn seine Freunde die Lokalpresse Ostfrieslands
nicht lasen – außer Onno vielleicht –, das Internet, YouTube, Twitter, und
wie sie alle hießen, warteten ohnehin in kürzester Zeit mit allen mehr oder
weniger erwähnenswerten Neuigkeiten auf, sodass man auch dort über die Unfälle
in der Krummhörn spekulierte. Würde er Unterstützung seitens der Freunde
bekommen? Oder würden sie ihn ebenfalls verdächtigen? Er tippte auf Ersteres,
wohl um sich selbst zu beruhigen. Ihm war klar, dass die Polizei ihn weiterhin
auf der Liste hatte. Schließlich war er nach wie vor eine schlüssige Erklärung
schuldig. Vielleicht hatten sie die Fährte aber erst einmal aufgegeben –
offensichtlich konnten sie ihm nichts anlasten, was zu einer Verhaftung
ausreichte. Eventuell verfolgten sie eine andere Spur … Jedenfalls, so
dachte er, konnte er tun und lassen, was er wollte, solange man ihm nichts
anderes sagte. Ein wenig wunderte es ihn schon, dass er einfach losfahren
konnte unmittelbar am Tag des Ferienbeginns. Er hatte – trotz der inneren
Anspannung und der Anschuldigungen – wie immer den ordentlichen Lehrer
abgegeben, seinen Dienst in der Schule beendet, den Schülern schöne Ferien
gewünscht. Als er das Schulgebäude verlassen hatte, war er sehr erschrocken,
als er eine Polizeistreife erblickte. Doch sie war weitergefahren, offenbar
ohne Interesse an ihm. Routinefahrt, meistens war es ja ruhig, so mitten in
Ostfriesland. Und wenn sie ihn suchten, würden sie sicher länger brauchen.
Falls Bertha Schmidt nicht wieder gleich alles ausposaunte, der hatte er ja zumindest
die grobe Richtung mitgeteilt, in die es gehen sollte. Er hätte wohl nichts von
Schleswig-Holstein, Kiel und Lübeck erzählen sollen – andererseits waren
diese Angaben recht vage, dachte Rainer.
Die A
21 Richtung Kiel war reichlich dunkel und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf
120 km/h schien angemessen zu sein. Er war müde, langsam spürte er zwar
einerseits Entspannung, andererseits aber auch, dass er in den vergangenen
Tagen wenig geschlafen, sich viele Gedanken gemacht und daher recht erschöpft war.
Er freute sich darauf, Derk wiederzutreffen. Ihn würde er auf jeden Fall
einweihen, um nach einer Lösung zu suchen. Auf ihn konnte man sich verlassen.
Aber eventuell brachten die anderen ebenso brauchbare Vorschläge in die
Diskussion.
Nachdem er die Autobahn
bei Bad Segeberg verlassen hatte und eine Weile über die B 205 gerattert war,
sah er endlich das Hinweisschild ›Kleinkummerfeld‹. Jetzt war es nicht mehr
weit. Wie konnte man nur in Kleinkummerfeld wohnen? Doch Rainers zweiter
Gedanke war: Ich lebe in Manslagt … Er setzte den Blinker, bremste und bog ab.
»Mann, nicht so schnell – ich
war gerade eingeschlafen, da wirbelst du mich quer
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