Friesenwut - Kriminalroman
in
kleine Schnapsgläser füllte, sahen sie, wie die Fähre scharf backbord in das
Juister Wattfahrwasser drehte.
»Wat is dat denn?« Der
Inselpolizist schaute etwas kritisch auf sein Glas.
»Eigene Rezeptur von meiner
Mutter«, entgegnete Hauke, »einfach weg damit!«
Am Heck der Frisia IX
standen indes Tanja Itzenga und Ulfert Ulferts. Sie starrten auf die Insel, auf
der sie kurze Zeit, viel zu kurz, gewesen waren.
»Wie nennen die ihr Eiland?«,
fragte Itzenga ihren Kollegen.
»Töwerland – das Zauberland.«
»Töwerland … ich hoffe, mein
nächster Aufenthalt wird wirklich zauberhaft. Von hier sieht die Insel auf
jeden Fall sehr schön aus!«
»Ist sie – ich
war letztes Jahr eine Woche hier. Es ist ein herrliches Eiland! Wenn die Sonne
scheint sowieso. Und bei nicht ganz so gutem Wetter – schlechtes gibt es
hier ja nicht, allenfalls die falsche Kleidung – kann man durch nette
Geschäfte im Dorf bummeln, Kutsche fahren oder auf Wellness machen. Wir waren
übrigens auch im Inselmuseum im Loog – lohnt sich sehr.«
Sie schwiegen wieder und sogen die
Luft ein, die klar und frisch war, und genossen den wunderbaren Blick auf das
Wattenmeer und die schönste Sandbank der Welt.
35
Freya Reemts sah an
die Decke. Sie war endlich aufgewacht, ihre Augen waren geöffnet, allerdings
hatte sie noch kein Wort gesprochen. Der diensthabende Arzt war mitten in der
Nacht auf die Station gekommen, als eine Schwester ihm das kleine Wunder mitgeteilt
hatte. Er hatte die Patientin angesprochen, doch Freya antwortete nicht, zeigte
keinerlei Reaktionen, starrte an die Decke.
»Eine Art Wachkoma. Dennoch kann
das als gutes Zeichen gewertet werden«, versicherte der Arzt, »wir müssen
überlegen, wie wir den nächsten Behandlungszyklus anlegen.« Es war drei Uhr
nachts, weitere Maßnahmen würden erst am nächsten Morgen eingeleitet werden.
Natürlich waren Rehna
und Menno Reemts sofort unterrichtet worden. So schnell es ging, waren sie ins
Hospital gefahren. Die Mitteilung versetzte sie in Hochstimmung – obwohl
die Oberschwester erklärt hatte, dass Freya nach wie vor keine Reaktionen
zeige, lediglich die Augen geöffnet hielt. Rehna und Menno waren sich jedoch
sicher, dass, wenn sie sich jetzt ausschließlich um ihre Tochter kümmerten, sie
früher oder später vollends erwachen würde. Den Hinweis, eventuell könne sich
Freya an nichts und niemanden erinnern, hatten Rehna und Menno nicht gelten
lassen, wohl verdrängt. Nein, jetzt musste es bergauf gehen, jetzt würde ihre
Tochter sich auf den Weg der völligen Genesung begeben. Und schon bald wäre
alles wieder so, wie es einmal gewesen war.
»Bitte, seien Sie so
behutsam wie möglich«, meinte der neue diensthabende Arzt, ein Dr. Scholz. »Wir
wissen nicht viel über den Zustand Ihrer Tochter – rein körperlich und
organisch ist alles stabil und bessert sich zusehends, klar, es wird Narben
geben, doch damit wird sie leben können, zumal im Gesicht kaum etwas
zurückbleiben wird.«
Hier unterbrach Rehna den Doktor:
»Hauptsache, sie ist bald wieder bei uns, alles andere ist zweitrangig.«
»Ja, sicher«, Scholz schien kurz
zu überlegen, wie er darauf reagieren sollte, »was ich eigentlich sagen
wollte – wir wissen derzeit nicht genau, inwieweit Gehirnleistungen
beeinträchtigt sein werden, ob Gedächtnis, Erinnerungsvermögen und erlernte
Fähigkeiten in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das können wir erst in Erfahrung
bringen, wenn sie auf ihre Umwelt reagiert.«
»Aber sie ist aufgewacht!« Rehna
schien für einen Moment ihre gute Stimmung zu verlieren, sie merkte, dass sie
auf der Fahrt ins Krankenhaus zu euphorisch gewesen war.
»Natürlich, und das kann, Frau
Reemts, durchaus ein gutes Zeichen sein.« Der Arzt wollte offenbar die positive
Seite betonen. »Reden Sie mit ihr. So, wie Sie das immer getan haben. Auch wenn
vermeintlich nichts zurückkommt. Erzählen Sie Geschichten von früher, vom
Alltag, was Ihnen so einfällt – vielleicht nutzt es was.«
»Vielleicht,
vielleicht«, murrte Menno und setzte hinterher: »Milliarden an Steuergeldern
werden im Gesundheitswesen verbraten, klare Antworten hingegen, das muss ich
mal sagen, bekommt man selten in diesem Hause. Mal abgesehen davon, dass sich
verschiedene Ärzte bereits widersprochen haben.«
Dr. Scholz reagierte fast ein
wenig beleidigt: »Ich weiß nicht, ob Sie das beurteilen können, Herr Reemts.
Ich wäre damit vorsichtig. Es gibt viele
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