Friesenwut - Kriminalroman
Doch dann fielen ihr die vielen
Momente ein, in denen sie tatsächlich unkonzentriert an den Fall herangegangen
war.
Der immerfort fast gekünstelt
freundlich dreinblickende Eilsen sprach weiter: »Der erste Gerichtstermin steht
bereits fest. Herr Manninga wird sich verantworten müssen. Sein Anwalt wird
schwere Arbeit haben, denn unsere Beweiskette steht.« Aus welchem Grunde auch
immer, meinte Tanja Itzenga, an dieser Stelle Stellung nehmen zu müssen.
»So ist es, Herr Eilsen, es passt
alles zusammen. Manninga kann sich einfach nicht glaubhaft verteidigen!«,
erläuterte sie und Ulfert Ulferts ergänzte: »Wir haben ihn ganz schön getriezt,
doch bis auf ›ich weiß es wirklich nicht‹, ›kann ich Ihnen nicht sagen‹ oder
›ich war es nicht‹ und ähnlich schwammige Antworten kam nichts! Er habe die
Gummistiefel in seinem Kofferraum gefunden, es seien allerdings nicht seine,
meint er. Seltsamerweise stimmt aber die Größe. Und an den Stiefeln klebte die
Erde vom Tatort. Echte Erklärungsnot, auch hinsichtlich der anderen Fakten, der
Jacke zum Beispiel. Ein wunderbar herausgerissener Haken im Innenfutter. Es hat
gedauert, aber schließlich lagen die Beweise vor.«
Tanja Itzenga freute
sich einerseits über die Worte Eilsens, der ganze Verlauf des Falles löste aber
gleichermaßen Unbehagen in ihr aus. Es hatte während der Ermittlungen immer
wieder diese Momente gegeben, bei denen sie dachte, es fehle noch etwas oder
sie sei auf dem Holzweg. Oft hatte sie sich ablenken lassen. Dann noch gestern
das Gespräch mit Rehna Reemts und deren Mann, das erneut Zweifel bei ihr
aufkommen ließ. Aber Eilsen hatte außerordentlich gedrängt. Zur
Geburtstagsfeier, das sei die Gelegenheit, den Ermittlungserfolg gleich zu
feiern. Sie wollte widersprechen, Eilsen gab ihr jedoch keine Chance, ›Frau
Itzenga, es ist auch und gerade Ihr Erfolg!‹ Sie insistierte nicht weiter, die
Kräfte ließen nach. Erneut erkannte sie, dass sie eine Pause brauchte, Urlaub,
eine Kur vielleicht. Niemand konnte immer nur Volldampf fahren. Irgendwann
rächte sich das, dann machte man Fehler. Burnout, zumindest Anfänge davon. Wann
würden Arbeitgeber endlich begreifen, dass es am Ende unwirtschaftlicher war,
aus Arbeitnehmern alles herauszuquetschen, bis sie krank wurden?
Faktisch stand das
Erklärungsgebäude, das Rainer Manninga in die U-Haft gebracht hatte. Er
weigerte sich, ein Geständnis abzulegen, bestand auf seiner Unschuld. Tanja
Itzenga wunderte sich, dass er so sehr an seiner Darstellung klebte,
keinesfalls Alex Aldenhoff ermordet zu haben. Sie gestand dem Lehrer aus Manslagt
eine erstaunliche Widerstandskraft und Durchhaltevermögen zu. Hier, auf der
kleinen Geburtstagsfeier von Ulfert Ulferts, nahm Polizeipräsident Eilsen das
zum Anlass, die Hauptkommissarin und ihren Kollegen lobend zu erwähnen. Sie
wollte dieses Lob nicht, denn der Fall war ja nicht endgültig zu den Akten
gelegt. Wer wusste schon, was die Verteidigung vorbringen würde. War die
Beweiskette eindeutig, unumstößlich? Solange man selbst das Unwahrscheinlichste
nicht ganz ausschließen konnte … Niemand sonst schien sich derartige Gedanken
zu machen. Alle stimmten überein: Der Fall war gelöst und sie hatte –
neben den sporadisch aufkommenden, unbehaglichen Gefühlen –
zwischenzeitlich Anflüge guter Laune. Ein Auf und Ab. Jetzt stand man kollegial
im Raum, ein Gläschen Sekt oder O-Saft in der Hand, und gab sich dem Small Talk
hin. Ulferts freute sich – er hatte zum Geburtstag einen Geschenkgutschein
von den Kollegen bekommen – 10x Kino! Das war eine schöne Aussicht. Und
mindestens einmal wollte er Tanja einladen mitzukommen.
Es klopfte. Laut und
vernehmlich. Zunächst nahm niemand so recht Notiz von der Person, die in die
dienstliche Geburtstagsgesellschaft trat. Bis sie zu Tanja Itzenga durchdrang
und sich vor der Kommissarin aufbaute. Leicht schwankend, offenbar angetrunken.
»Lassen Sie Manninga laufen!«,
mehr brachte Menno Reemts zunächst nicht heraus. Der Landwirt hatte eine Fahne,
die den ganzen Raum mit einem Gemisch aus Bier- und Schnapsgeruch füllte.
»Guten Tag erst einmal«, irgendein
Anwesender begrüßte den Eindringling leicht belustigt, ein, zwei Schlucke Sekt
hoben doch gleich die Stimmung. Tanja Itzenga sah Reemts erstaunt an.
Leicht lallend, begann er zu
reden: »Ihre Ermittlungen, Frau Itzenga, die stimmen nicht. Die können Sie
getrost in die Wurst hauen. Die sind so viel wert wie die faulen Papiere
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