Frisch geküsst, ist halb gewonnen
dein erster Fehler“, sagte er leise. „Anzunehmen, dass du schwach bist. Solange du schwach bist, kannst du niemals gewinnen.“
„Oh, richtig. Das ist also der große Plan? Mich zu brechen, damit du mich neu aufbauen kannst? Ich sage dir eines: Das wird niemals passieren. Du wirst nicht gewinnen, und du wirst mich nicht dazu bringen, dankbar für all das hier zu sein.“
„Dann haben wir ein Problem.“
„Ich bin froh, dass du das auch endlich erkannt hast.“ Sie schob sich an ihm vorbei und ging in die Richtung, in der hoffentlich die Treppe lag.
„Du hast alles“, rief er ihr hinterher. „Du bist jung, gesund. Du hast finanzielle Ressourcen und eine Familie, die dich liebt. Aber das ist dir nicht genug.“
Sie hielt inne und drehte sich zu ihm um. „Ich weiß. Ich will auch wieder sehen können. Wie lächerlich von mir, nicht wahr?“
„Alles, was zwischen dir und deinem Wunsch steht, ist die Operation.“
Eine Operation, die mich für immer blind machen könnte, dachte sie bitter. Aber darüber wollte niemand sprechen. Niemand wollte sich mit den Risiken beschäftigen. Denn für die anderen gab es keine.
„‘Lass dich operieren, Izzy’„, sagte sie mit scharfer Stimme. „‘Tu es einfach, Izzy. Warum nicht?’ Für dich oder die anderen gibt es keine negative Seite, sondern nur für mich. Wenn du etwas zu verlieren hast, können wir gerne noch mal reden. Bis dahin scher dich zur Hölle. Ich spiele dein Spiel nicht mit. Ich bin noch nicht einmal interessiert an deinem Spiel. Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen, dass ich sehr gut alleine finde. Du wirst das hier nicht gewinnen, und je eher du das akzeptierst, desto einfacher wird es für uns alle.“
Sie wandte sich wieder der Treppe zu und umfasste das Geländer. Nachdem sie die erste Stufe ein wenig suchen musste, schaffte sie es, ihren Fuß daraufzusetzen, und langsam, aber stetig stieg sie die Treppe hoch, bis sie oben im Flur angekommen war. Sie hatte keine Ahnung, ob Nick sie beobachtete oder das Zimmer schon wieder verlassen hatte. Aber es war ihr auch egal. Sie war wütend und müde und wund und immer noch durstig. Ihre Schultern, Arme und der Rücken brannten von dem Sonnenbrand. Und schlimmer noch, sie war ganz alleine. Die beiden Menschen, die sie liebte und denen sie mehr als jedem anderen vertraute, hatten sie im Stich gelassen, und das würde sie ihnen niemals verzeihen.
Sie blinzelte und versuchte, den langen Flur scharf zu stellen. Als das nicht funktionierte, brach ihr kurz der Schweiß aus. Wie sollte sie ihr Zimmer finden? Dann erinnerte sie sich daran, dass Nick gesagt hatte, es wäre die erste Tür auf der linken Seite.
Sie machte einen Schritt in die Richtung und streckte ihren Arm aus, um die Entfernung zur halb geöffneten Tür abzuschätzen. Sie drückte die Tür ganz auf und trat ein.
Die Sonne war schon lange untergegangen, und der Raum lag im Dunkeln. Sie fuhr mit der Hand an der Wand entlang, bis sie den Lichtschalter gefunden hatte. Auf beiden Seiten des Bettes leuchteten Lampen auf.
Die Möbel waren nur verschwommene Schatten. Sie erkannte sie lediglich an ihrer Position im Zimmer. Das Bett war kein Problem, auch die Kommode nicht. Sie nahm an, dass der rechteckige Schatten am Fußende des Bettes ihr Koffer war, den Lexi oder Skye gepackt hatte. Kein Fernseher, was in Ordnung war. Sie konnte sowieso nicht richtig sehen, und nur zuzuhören machte nicht halb so viel Spaß.
Es gab zwei weitere Türen. Eine führte in einen Schrank, die andere zum Badezimmer. Sie schaltete auch dort die Lichter an und ging dann in das Schlafzimmer zurück, wo sie mit etwas Mühe den Reißverschluss ihres Koffers aufbekam.
Sie hatte keine Ahnung, was in den Koffer gepackt worden war, also hatte sie auch keine Erinnerungen, die ihr helfen konnten herauszufinden, welche Kleidung sie vor sich hatte. Ihre Jeans erkannte sie am Stoff. Ebenso ihre Panties, Tangas und BHs. Aber die T-Shirts sahen alle gleich aus. War das hier weiß oder hellrosa? Blau oder grün? Bei hellem Licht konnte sie die Unterschiede erkennen, aber die zwei Lampen auf den Nachttischen reichten dafür nicht aus.
Sie brachte ihre Kulturtasche ins Bad und stieß sich auf dem Rückweg ihre Hüfte an der Kommode. Der scharfe Schmerz ließ sie aufschreien, Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wollte sich einfach nur in einem dunklen Loch verkriechen und nie mehr gefunden werden.
Die Angst kehrte zurück. Angst vor der Dunkelheit, vor dem Unbekannten. Dazu
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