Frisch geküsst, ist halb gewonnen
zusätzliche Herausforderung, dass sie kein Kind war. Sie war eine wunderschöne Frau. Er hätte so blind sein müssen wie sie, um das nicht zu bemerken, und mit seinem letzten Atemzug ringen, um nicht an die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu denken. Aber das spielte keine Rolle. Sie war tabu.
Also, wie ging es nun weiter? Hatte er sie zu hart angepackt? Würde sie die Herausforderung annehmen oder daran zerbrechen? Jemanden zu fordern oder sich wie ein totales Arschloch zu benehmen war eine heikle Gratwanderung. Er tendierte dazu, sich in Richtung Arschloch zu verirren.
Sein Telefon klingelte.
„Hollister“, meldete er sich.
„Wie geht’s?“
„Wie immer“, sagte er, erfreut, die Stimme seines Freundes zu hören. „Und bei dir?“
„Blendend“, sagte Garth Duncan. „Es war ein guter Tag.“
Nick schaute auf seinen Monitor. „Der Markt war unten.“
„Nicht für mich. Und für dich auch nicht. Zumindest nicht, was deine Anteile an meiner Firma betrifft. Ich kann natürlich nicht für den anderen Mist reden, den du in deinem Portfolio hast.“
Nick lachte. „Das erwarte ich auch nicht.“ Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Es war beinahe zehn Uhr. „Bist du immer noch im Büro?“
„Sicher. Ich werde mich aber gleich auf den Weg nach Hause machen. Ich habe morgen Abend eine Wohltätigkeitsveranstaltung, also erledige ich heute noch ein paar Sachen.“
Garth war dazu geboren, ein Tycoon zu werden. Sie hatten sich an ihrem ersten Tag auf dem College getroffen, als das Schicksal sie zu Zimmergenossen gemacht hatte. Garth war ein charmanter, gut aussehender Achtzehnjähriger, dem es leichtfiel, Freundschaften zu schließen, und der das Selbstbewusstsein eines Menschen ausstrahlte, der wusste, dass er zu Höherem berufen war. Nick war ein dünner, verängstigter, fünfzehnjähriger Stipendiat gewesen, in der Theorie das klügste Kind am College, aber vollkommen ahnungslos, wenn es ums echte Leben ging.
Garth hatte einen Blick auf ihn geworfen und das Zimmer ohne ein Wort verlassen. Nick war es egal gewesen. Er war einfach nur dankbar, dem Horror der Pflegefamilien entronnen zu sein und sich nun in der einigermaßen sicheren Welt des Colleges zu befinden. Diese Erleichterung hatte zwei Wochen später ein jähes Ende gefunden, als ein paar Verbindungsstudenten meinten, ihm die Seele aus dem Leib prügeln zu müssen, um sich einen ewigen Platz in den Annalen des Colleges zu sichern.
Garth war dazwischengegangen, bevor sie ihn ernsthaft verletzen konnten. Er hatte Nick zurück in ihr Zimmer gezerrt und ihm gesagt, er solle sich zukünftig aus jedem Ärger heraushalten. Dann war er wieder gegangen. Als Dankeschön hatte Nick Garths Hausaufgaben in Infinitesimalrechnung fertiggestellt und ihm einen Spickzettel hinterlassen.
Irgendwann waren sie dann Freunde geworden, bedingt durch die tägliche Nähe und die ähnliche Herkunft. Nick war ohne Eltern aufgewachsen, Garth hatte keinen Vater gehabt. In den vier Jahren, die Garth brauchte, um seinen Bachelor zu machen, hatte Nick sein Studium zum Erdölingenieur beendet, seinen Master gemacht und war fast mit seiner Dissertation fertig. Garth brachte ihm bei, wie man Freunde machte und Mädchen kennenlernte. Nick half Garth, seine Kurse mit einem respektablen Zweierdurchschnitt zu bestehen.
Wie lange das her war, dachte Nick finster. Damals, als noch alles möglich schien.
„Deine Freundin ist angekommen“, sagte Nick.
„Wer?“
„Isadora Titan. Izzy. Die, von der du mir erzählt hast.“
Nick hatte Izzy auf Garths Bitte hin aufgenommen. Eine von Garths früheren Assistentinnen arbeitete jetzt bei Skye Titan, und Garth hatte sie gebeten, Druck zu machen, damit sie Nick wegen Izzy kontaktierte. Allerdings war Garths Name außen vor geblieben. Seiner Aussage nach waren die Titans Geschäftskonkurrenten, und er musste dafür sorgen, dass sie in guter Verfassung blieben, damit sie weiterhin eine Herausforderung für ihn darstellten.
Aber Nick wusste es besser. Garth war einer der Guten – schon immer gewesen. Und er hasste es, sich irgendeine Nettigkeit auf sein Konto schreiben zu lassen, die seinen Ruf ruinieren konnte.
„Wie macht sie sich?“, wolltr Garth wissen.
„Es fällt ihr schwer, sich einzugewöhnen.“
„Ich würde denken, dass es einige Zeit dauert, sich daran zu gewöhnen, blind zu sein. Aber du wirst schon noch dein Wunder vollbringen. Das tust du immer.“
„Es ist kein Wunder. Es ist die Wirklichkeit. Sie
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