Frisch geküsst, ist halb gewonnen
war im Dschungel. Das wusste er, weil er den moderigen Geruch aus frischen und verrottenden Blättern roch. Er spürte, wie die Feuchtigkeit der dicken, schwülen Luft an seinem Körper klebte. Es hätte dunkel sein müssen, weil ihm immer die Augen verbunden gewesen waren, aber in seinem Traum konnte er alles sehen. Die Bäume, die Vögel, das Sonnenlicht, das seine Strahlen durch das Laub des Regenwaldes schickte. Was er nicht sehen konnte, waren die Messer.
Sie kamen ohne Vorwarnung, unsichtbar. Das kalte Gefühl von Stahl, der durch Fleisch schnitt. Eine Sekunde der Ungläubigkeit, während er beobachtete, wie das Blut an seinem Arm entlanglief. Es gab keinen Schmerz. Der kam erst eine Sekunde später, das sengende Brennen, als alte Narben wieder aufgeschlitzt wurden.
Er biss seine Zähne vor Schmerz zusammen, doch das Messer schnitt wieder und wieder und wieder. Seine Brust, seine Beine, seinen Bauch. Ich werde nicht schreien, sagte er sich selbst, während der Schweiß inzwischen genauso schnell wie das Blut über seinen Körper rann. Ich werde sie nicht gewinnen lassen. Aber der Schrei wurde ihm aus den Lungen gerissen, und wieder einmal hatte die Qual gewonnen.
Er erwachte so plötzlich, wie er eingeschlafen war. Alle Lichter waren an, aber die Dunkelheit drückte trotzdem schwer auf ihn. Seine Narben brannten, wie jedes Mal. Phantomschmerzen, die bei Anbruch der Dämmerung verschwinden würden.
Er sah Aaron im Türrahmen stehen. Sie starrten einander an.
Nicks Kehle war trocken, sein Atem ging rasselnd. Trotzdem schaffte er es zu sprechen. „Mir geht’s gut.“
„Du siehst aber nicht so aus.“
Nick zuckte mit den Schultern.
„Du musst mit jemandem darüber reden“, sagte Aaron.
„Nein.“
„Und ich dachte immer, du seist klüger, als dein hübsches Gesicht vermuten lässt.“ Aaron musterte ihn weiter. „Die Träume werden nicht einfach so aufhören.“
„Ich weiß.“
„Das kann unmöglich gesund sein.“
„Mir geht es gut, wirklich.“
„Ich weiß nicht, ob du nur stur bist oder ernsthaft blöd.“
„Lass mich wissen, wenn du es herausgefunden hast.“
„Hör auf, mir den starken Mann vorzuspielen“, wies Aaron ihn zurecht. „Vergiss nicht, ich habe dich schreien gehört.“
Er drehte sich um und ging. Nick legte sich wieder hin. Er wusste, dass er vor dem Morgengrauen nicht wieder einschlafen würde. In ein paar Minuten, wenn er nicht mehr zitterte und sein Atem wieder normal ginge, würde er aufstehen.
Aaron versuchte nur zu helfen. Das Problem war, Nick glaubte nicht, dass es eine Lösung für sein Problem gab. Die Träume waren ein Teil des Preises, den er für das, was er getan hatte, zahlen musste. Da er keine Vergebung finden konnte, musste er weiter dafür zahlen. Heute Nacht war die Rate aber sehr viel größer ausgefallen als üblich.
Izzy stand vor dem Lagerraum und wünschte sich, jemand anders wäre für die Fütterung der Pferde verantwortlich. Oder dafür, den Hafer nachzufüllen. Aber nein. Das Füttern war ihr Job, und der Hafer war ihr genau zwei Pferde zu früh ausgegangen.
„Würdet ihr zwei vielleicht ein paar Möhren als Ersatz akzeptieren?“, rief sie in den Stall hinein. „Oder einen Apfel? Wie wäre es mit einem Keks?“
Sekunden, bevor sie Schritte oder Wörter hörte, spürte sie, dass jemand hinter ihr war.
„Mit wem redest du?“, fragte Nick und trat auf sie zu.
„Kennst du nicht.“
Sie hatte ihn den ganzen gestrigen Tag über nicht gesehen. Aaron sagte, dass er in die Stadt gefahren war, um ein paar Besorgungen zu machen, aber sie dachte, dass er ihr vielleicht wegen des Kusses aus dem Weg ging. Und falls dem so war, ob sein Verschwinden dann ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
Das waren die Momente, wo es wirklich nervig war, nicht sehen zu können. Normalerweise hätte ein Blick auf den Mann ihr gereicht, um zu wissen, ob er sie oder nur seinen Spaß wollte. Jetzt konnte sie es nicht mehr unterscheiden, und sie würde ihn ganz sicher nicht danach fragen.
Was ihr am meisten Sorgen machte, war jedoch nicht der Mangel an Informationen, sondern dass Sex bisher immer ein Spiel für sie gewesen war. Eines, das sie genoss und gut spielte. Aber nun verstand sie die Regeln nicht mehr. Sie konnte den anderen Spieler nicht mehr lesen, was einen erheblichen Nachteil für sie bedeutete. Außerdem war da noch die winzige Kleinigkeit, dass sie nicht gespielt hatte, als er sie küsste. Sie hatte Leidenschaft und Lust verspürt und
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