Frisch gepresst: Roman (German Edition)
mehr wählerisch sein. Nicht, daß er am Ende noch amputiert werden muß, nur weil ich zu schneubisch war. Wäre doch schade um meinen Fuß. »Laß uns gleich fahren«, antworte ich in meiner freundlichsten Tonlage, und wir machen uns auf den Weg zu seinem Auto. Er muß mich halb hinter sich herschleifen. Ich bin keine Frau, die man einfach so über die Schulter werfen kann. Oder auf Händen trägt. Nicht, weil ich prinzipiell was dagegen hätte, sondern weil das bei meiner Gewichtsklasse nur bodybuildinggestählte Männer packen. Er parkt 5 Straßen weiter, fast schon in einem anderen Stadtteil. »Ich hätte das Auto ja auch vorfahren können, wäre leichter gewesen«, fällt ihm 3 Meter vor dem Ziel ein, aber ich schaffe es, abwehrend zu flöten: »Nein, nein, geht schon alles.« Ich neige zwar zur Wehleidigkeit und fühle mich längst bereit für die Sanitäter-Trage, aber noch funktioniert mein Verstand soweit, daß ich weiß: momentan ist ergriffene Dankbarkeit das schlaueste.
Einen Porsche hat er nicht. Es ist ein alter Audi 80. Rostbraun. Synthetikbezüge auf den Sitzen. Im Leopardenfellmuster. Bin ich einem Perversen in die Hände gefallen. Wehrlos ausgeliefert? Hat mir nicht meine Mutter jahrzehntelang gesagt, ich soll zu keinem Fremden ins Auto steigen. Nun bin ich gerade mal 30 und ruiniere vielleicht mein Leben dadurch, daß ich in ein Auto mit Leopardenfellmustersitzbezügen klettere. Noch habe ich die Chance, mich zu verdrücken. Er bemerkt mein Zögern. »Das Auto habe ich von meinen Eltern zum Abi gekriegt. Nicht gerade schick, aber es fährt.« Der Junge hat immerhin Schamgefühl. »Die Sitzbezüge sind recht ausgefallen«, murmele ich in seine Richtung.
»Scheußlich, ich weiß, aber der Stoff drunter ist total hin. Sind noch von meiner Mutter, das Auto auch, und im Winter halten die Puschelfelle schön warm.« Es besteht die Möglichkeit, daß er sogar Geschmack hat. Oder wenigstens nicht völlig gestört ist. Einigermaßen beruhigt plumpse ich auf den Beifahrersitz. »Leg den Fuß ruhig hoch, ist gut bei der Schwellung, mach dir’s bequem«, schlägt er vor und schiebt eine Kassette rein. Klassik. Soviel erkenne ich auf Anhieb. Ist allerdings nicht mein Spezialgebiet, klassische Musik. »Der Ring, von Wagner, phantastisch, oder?« freut er sich, braust los und erkundigt sich auch noch nach meinen Wünschen: »In welches Krankenhaus willst du?«
»Mir egal«, entgegne ich, »überlasse ich natürlich dem Fachmann.«
»Dann fahren wir in die Uni«, beschließt er ohne langes Grübeln. Ich mag Männer, die schnell entscheiden können, und Männer lieben das Gefühl, die Entscheidung getroffen zu haben. Den Rest der Fahrt, von der Medizinerfete zur Notaufnahme, trällert er den Ring mit. Opulentes Werk. Nicht mein Geschmack, aber allemal besser als Gregors Geschwätz. Meine Neigung zu italienischen Schlagern verschweige ich mal lieber. Ich stehe normalerweise selbst zu meinen profanen Vorlieben, aber in der ersten Kennenlern-Phase halte ich mich mit Bekenntnissen zurück. Die Uniklinik Frankfurts, unser Ziel, liegt direkt am Main. Vorne an der Einfahrt ein kleines Pförtnerhäuschen. Christoph kurbelt sein Fenster runter und fragt den feisten Kerl im Blaumann hinter der Scheibe nach der Ambulanz. »Worum geht’s dann?« will der Herrscher der Pförtnerloge wissen. Wieso eigentlich? Macht der im Zuge der Gesundheitsreform die kleineren Eingriffe gleich hier? Oder ist er einfach stinkneugierig? Wahrscheinlich nur eine schlichte Machtdemonstration. Das lieben diese kleinen Pupser. Diese Ohne-mich-und-mein-Wohlwollen-läuft-hier-gar-nichts-Deppen. Christoph ist die Ruhe selbst. Will es sich als Medizinstudent und potentieller zukünftiger Oberarzt im Klinikum wahrscheinlich nicht mit einem der wichtigsten Männer auf dem Gelände verderben. »Ein kaputter Knöchel«, gibt er dem rotgesichtigen Bauchträger Auskunft. »Parken Sie Ihrn Wage hier vorn, und dann gehe Se da hinne die Rampe runner un gleich links«, lautet die Antwort. »Vielen Dank, Chef«, geht ihm Christoph um den Bart. So einem noch in den Hintern kriechen. Widerlich. Taktisch sicherlich die geschickteste Lösung. Liegt mir aber nicht, das Taktieren. Christoph zieht sogar noch einen Parkschein am Automaten. »Nachts kontrolliert das doch garantiert niemand«, versuche ich ihm Geld zu sparen. Aber Christoph ist ein gewissenhafter und braver Bürger. Wenn er auch als Arzt so penibel genau ist, dann befindet sich mein Knöchel in guten
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