Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Mal gespannt aufs Frühstück. Deckel vom Tablett runter. Da kommt die Ernüchterung. Eine Scheibe Graubrot, im wahrsten Sinne des Wortes, Butter und eine gelbliche Marmelade. Ich mag lieber rote. Na ja, hoffentlich ist es wenigstens Aprikose. Ich dippe mit dem Finger, und es ist Quitte. Ich hasse Quittenmarmelade. Gelee ist allerdings noch fieser. Dann eben ein Butterbrot. Schwester Huberta bemerkt mein muffiges Gesicht: »Für morgen können Sie sich was wünschen, ich bringe Ihnen später die Auswahllisten. Am ersten Tag gibt’s immer Standardfrühstück. Aber nicht grämen, dafür haben wir einen ganz besonderen Nachtisch.« Mann, ist die munter, und das um 6.30 Uhr! Ich bin eher ein Morgenmuffel. Diese extrem gutgelaunten Menschen, die frühmorgens aus dem Bett springen: »Hallo, Tag, hier bin ich«, gehen mir auf den Keks. Ich spreche nicht gern vor dem Frühstück. Erst Kaffee, dann Gerede. Wenn es nach dem Kaffee auf meinem Tablett ginge, dürfte ich heute gar nichts sagen. Eine Brühe, die aussieht und leider auch schmeckt, als hätte man einen alten Spüllappen in lauwarmem Wasser geschwenkt. Da ist auch mit Milch nichts zu retten. Ich verziehe das Gesicht. »Ist koffeinfreier«, lacht Schwester Huberta, »bekommt den Stillenden besser.« – »Ich stille nicht, und außerdem brauche ich das Koffein«, entgegne ich. Langsam verstehe ich, warum neuerdings jede Menge Frauen ambulant entbinden. Es liegt am Krankenhaus-Catering. Schwester Huberta erhebt lächelnd den Zeigefinger: »Ja, ja, von Ihrer Vorliebe für Genußwaren habe ich schon gehört.« Schwester Christel ist nicht nur eine der letzten lebenden Moralapostelinnen, sondern auch noch eine Petze. Harmlose rosa Namensschildchen tragen und dann so was. Eine ausgebuffte Person. Aber das ist ja oft so. Die, die am unschuldigsten wirken, sind die abgebrühtesten und raffiniertesten. War schon in der Schule so. Stephanie, ein immer adrett gekleidetes Mädchen, die noch mit 15 Samthaarreifen und weiße Kniestrümpfe trug und jedesmal knallrot anlief, wenn’s darum ging, wer mit wem geht und wer schon mal und wer noch nicht. Ich werde nie vergessen, wie sie, als wir mit unseren ersten Pettingerlebnissen angegeben haben, empört aus dem Mädchenklo gerannt ist. Panisch geradezu. Ein Jahr später hat sie wegen Schwangerschaft die Schule verlassen. Und die Krönung: 3 Jungs aus der Abschlußklasse mußten zum Vaterschaftstest. Soviel zu den optischen Unschuldslämmchen.
Frau Tratschner versucht, mich aufzumuntern. »Unten in der Cafeteria in der Halle kann man sich Kaffee holen. Richtigen, echten Kaffee.« Inge fällt ihr sofort ins Wort: »Ich trinke nur den Trans-Fair-Kaffee oder den aus dem Dritte-Welt-Laden, aus Nicaragua. Alles andere ist Ausbeuterei. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die da unten Trans-Fair-Kaffee ausschenken. Und das wollen wir ja wohl nicht unterstützen.« Für meine morgendliche Dosis Koffein würde ich selbst davor momentan nicht zurückschrecken. »Ach Kinders, habe ich gut geschlafen heute nacht«, verkündet Frau Tratschner, und freudig erregt fährt sie fort: »Und ob ihr’s glaubt oder nicht, heute wird’s passieren, ich habe es geträumt, mir grummelt’s auch schon so im Bauch. Da ist ganz schön was am Anrollen.« Na Spitze, ein gammeliges Graubrot mit Quittenmarmelade (die ich im verpennten Zustand aus Versehen doch aufs Brot geschmiert habe) und dazu Frau Tratschners Visionen von nahender Verdauung, besser kann ein Frühstück ja nicht schmecken. »Wir essen gerade«, ermahne ich Frau Tratschner auf die Sanfte. Wenn ich jetzt nicht Einhalt gebiete, kommt die mir noch mit der möglichen Konsistenz.
Sie rafft nichts: »Ja, was denken Sie denn, warum ich extra Vollkornbrot bestellt habe, obwohl ich eigentlich viel lieber eine frische, weiße Semmel hätte? Vollkorn soll doch treiben, nicht Inge?« Inge nickt zustimmend, während sie versucht ihre Tupper-Dose aufzumachen. »Müsli ist natürlich noch besser. Ich lasse Ihnen ein, zwei Löffelchen übrig, hat mir meine WG vorbeigebracht. Wir haben eine Getreidemühle. Ist selbstgeschrotet. Nur Getreide aus dem Ökoladen selbstverständlich.« Über ihr schwebt schon der Bio-Heiligenschein. Aber man soll diese Menschen ja nicht hassen. Sie haben es schwer genug. Wer jemals Vollkornweihnachtsplätzchen gegessen hat, weiß, wovon ich rede.
Schwester Huberta unterbricht Inges Vortrag über Naturkost und die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Mit einem Grinsen stellt sie eine
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