Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Tasse dampfenden Kaffee auf mein mausgraues Krankenhaustablett. »Ist garantiert koffeinhaltig, Gruß aus dem Schwesternzimmer, einige von uns haben viel Verständnis für Genußsüchtige.« Das Stück Sardellenpizza, das ich Schwester Huberta gestern abend spendiert habe, zahlt sich umgehend aus. Ich könnte sie küssen. Selbst mit dem Damenbart. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Schwester Huberta«, erkläre ich gerührt. »Da wird mir schon noch was einfallen«, antwortet sie ohne jeden Hauch von Verlegenheit. Der Kaffee ist wunderbar. Heiß und stark. Sogar mit einem Schuß Milch. Wenn mich nicht alles täuscht, Vollmilch. Als könnte die burschikose Huberta Gedanken lesen. »Meine Damen, jetzt ist’s Zeit für Ihren individuellen Nachtisch«, kommentiert sie das Eintreten einer weiteren Schwester. Ein verhuschtes kleines Ding. Bestimmt die Lernschwester. Hat schon so einen vertrottelten Gang. Sie schiebt zwei Gitterbettchen vor sich her. So, wie die mir vorkommt, ist das auch sicherer für die Babies. Frau Tratschner und ich werden beliefert. Claudia sieht niedlich aus. Schon viel weniger zerdrückt als gestern. Ist mir doch recht gut gelungen. Nur die Strampelhose ist der Hammer. Lila mit orangenen Samtapplikationen. Da kann kein Kind wirklich gut drin aussehen. Ich muß Christoph anrufen und ihm sagen, daß er eigene Strampelhosen mitbringt. Ich bin nicht übermäßig eitel, aber so möchte ich mein Kind nun doch nicht präsentieren. Gerade der erste Eindruck zählt. Und obwohl es sicher albern ist, möchte ich, daß mein Frischgepresstes Begeisterung auslöst. Ich bin stolz, will, daß die Besucher das nachvollziehen können, und laß mir doch nicht all die Mühe durch einen lila Strampler versauen. Melanie, die Tochter von Frau Tratschner, haben sie in Hellgelb gesteckt. Zu dem blonden Flaum auf dem Kopf auch nicht gerade der Knaller, aber allemal besser als Lila mit orangefarbenen Samtapplikationen. Ob sie das extra machen? Um die Mütter, die sich nicht ordentlich führen, gleich zu bestrafen? Frauen wie Schwester Christel traue ich alles zu. Jeder übt die Macht aus, die er hat. Schwester Christel, Herrscherin der Stramplerzuteilung. Qualle.
Claudia wirkt schon jetzt irre intelligent. So aufgeweckt, wie die guckt. Ich muß echt an mich halten, um nicht stolz über den Gang zu rennen und wehrlose Besucher mit meiner Tochter zu belästigen. Aber was kann ich dafür, daß sie so perfekt gelungen ist? Auch im direkten Vergleich. Die Melanie von der Tratschner ist auch recht niedlich, aber dieses gewisse Etwas geht ihr leider ab. Von Konstantin Samuel David, dem lebenden Tiefkühlhühnchen, wollen wir gar nicht erst reden. Insgeheim ermahne ich mich. Konkurrieren mit Geschlechtsgenossinnen um das schönste Baby. Rivalität im Wochenbett. Was wird die Frauenbewegung dazu sagen? Wo bleibt die Solidarität? Oder ist das normal? »Aber ich vergleiche ja nur«, beruhige ich mich selbst, »und zufälligerweise ist meins halt das schönste und aufgeweckteste Modell.« Claudia schmatzt und schlürft. Scheint lecker zu sein. Aber in meiner Familie essen und trinken alle gern. Die Gene schlagen schon jetzt durch.
Beim Essen gibt es ja zwei Typen. Die Picker und die Schlinger. Die Picker lassen ihre Gabel ewig über den Teller kreisen, stochern herum, als würden sie einen diffizilen chirurgischen Eingriff vornehmen. Ganz anders die Schlinger. Wie Schaufelbagger wühlen die Eßwerkzeuge, und schwups ist die Mahlzeit verschlungen. Sicherlich reichlich ungesund, aber mir trotzdem sympathischer. Die andere Art zu essen hat so was Blutarmes. Lahmarschiges. Und wenn ich eins nicht abkann, dann ist das Lahmarschigkeit. Wie hat mein Vater immer gesagt: »So, wie man ißt, so arbeitet man auch.«
Claudia legt schon jetzt Schlingerverhalten an den Tag. Gott sei Dank. Meine Familie hat sich durchgesetzt. Christophs Familie ist nämlich eine richtige Pickeransammlung. Wie der im Essen rumstochert, das kann einem komplett den Appetit versauen. Als würde es nicht schmecken. Oder als würde er irgendwas suchen. Das war schon bei unserem ersten gemeinsamen Essen so. Aber der Reihe nach.
Am Tag nach meinem Super-Date mit Angeber Gregor saß ich mit meinem vermurksten Bänderriß daheim auf dem Sofa und habe den Abend geplant. Erste Essenseinladungen verlangen strategisches Vorgehen. Mit meinen Kochkünsten hält es sich in Grenzen. Nicht, daß ich nicht dazu stehe, aber man muß die Kerle ja nicht gleich am ersten
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