Frisch gepresst: Roman (German Edition)
mal an und humple dann, ohne mich umzuschauen, zur Haustür. Ich habe mal gelesen, das macht enormen Eindruck. In einem dieser Ratgeber für Singlefrauen. Schaden kann es jedenfalls nicht. Wirkt, laut Ratgeber, souverän und cool. Und wer will das nicht sein?
Tja, und mit diesem würdigen Abgang meinerseits endete der Abend, der alles veränderte. Der Abend, an dem ich Christoph kennenlernte.
Eine durchdringende Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
»Was machen Sie denn da«, plärrt es mir ins Ohr. Daß eine so zarte Person wie Schwester Christel eine so durchdringende Stimme haben kann, unglaublich! Geht direkt ins Hirn. Zerschneidet Nerven. Wie eine beim Abschreiben erwischte Drittkläßlerin schaue ich auf. Das Fläschchen ist längst leer, und Claudia liegt abgeschlafft in meinem Arm. Immerhin ist sie mir nicht hingedotzt. »Das Kind gehört zurück ins Bett, in ihr eigenes, Sie können sie morgen den ganzen lieben langen Tag um sich haben, jetzt aber muß hier drin mal Ruhe sein«, schimpft mich das rosa Frauchen aus. »Also Lärm haben wir zwei bestimmt nicht gemacht«, versuche ich mich zu rechtfertigen. Ob ich einen Eintrag ins große Krankenhausbuch bekomme? Frau Schnidt stört die nächtliche Bettruhe auf Zimmer 3, gezeichnet Schwester Christel. Ich schlucke dreimal und mache ein halbwegs reumütiges Gesicht. Mit ihr darf ich es mir nicht endgültig verscherzen. Bereitwillig drücke ich ihr meine Tochter in den Arm. Claudia scheint einen guten Schlaf zu haben. Frau Tratschner und die Müller-Wurz ebenso. Ein dezentes Grunzen liegt in der Luft. Dummerweise bin ich jetzt hellwach. Schwester Christel knipst mit der freien Hand noch meine Nachttischlampe aus und schlurft von dannen. Mit Claudia unterm Arm und Birkenstockschlappen am Fuß. Weiße Lack-Birkenstocks. Birkenstocks erlauben nun mal keinen eleganten Gang. Bequem sind sie ja. Aber optisch eine Katastrophe. Und am allerhäßlichsten sind die Modelle, die extra auf schick gestylt sind. Mit Lack und Mustern. Ich hatte auch mal welche. Das Basismodell. Habe sie aber in meiner Political-Correctness-Phase weggeschmissen. Die Hersteller sollen echte Schweine sein. Erlauben der Belegschaft nicht mal einen Betriebsrat. Müslischuhe machen, aber oberkapitalistische Methoden im Betrieb haben, da hört sich doch wohl alles auf. Ich beschließe, Schwester Christel sofort aufzuklären. Ein kleiner Besuch im Schwesternzimmer wäre doch eine nette nächtliche Abwechslung. Bevor ich hier im Dunkeln an die Decke starre, watschel ich lieber ein bißchen über den Gang. Vielleicht kann ich im Schwesternzimmer einen Kaffee schnorren.
Ich liebe Kaffee. Mit viel Milch und ohne Zucker. Keine Kaffeesahne, richtige Milch. Kaffeesahne hat ja unanständig viel Kalorien. Ich kann selbst nach Kaffee noch gut schlafen. »Du bist richtiggehend kaffeesüchtig«, meint meine Mutter bei jedem Täßchen, das ich in ihrer Gegenwart trinke. Seit ich kurz vor der Entbindung gesagt habe, ob ihr eine andere Droge, Heroin oder Koks, vielleicht lieber wäre, hält sie sich bei dem Thema allerdings etwas zurück. Mütter brauchen ab und an einen kleinen Dämpfer, sonst werden sie total übermütig.
Ich wälze mich aus dem Bett. Wie der Kafka-Käfer. Schwerfällig. Dabei dachte ich, wenn es erst mal raus ist, würde ich leichtfüßig wie eine Ballerina durch die Gegend schweben. Irrtum. Leise ziehe ich mir was über und versuche im Dunkeln nichts umzurennen. Es klappt. Sanft schließe ich die Tür. Ich laufe wie eine Fußballspielerin. Breitbeinig. Die passenden O-Beine habe ich sowieso. Ich will gar nicht sehen, was Dr. Wiedmann da unten genäht hat. Es brennt und zieht jedenfalls höllisch. Man soll sich ab und an so eine Kamillenlösung überschütten. Immer nach dem Pinkeln. Desinfiziert und beruhigt angeblich. »Einmal zusätzlich kann nur helfen«, denke ich und bewege mich im Schildkrötentempo Richtung Toilette. Mein Bauch schwabbelt bei jedem Schritt wie eine gallertartige Masse. Waschbrettvisionen auf Wiedersehen. Die Zeiten sind jetzt wahrscheinlich für immer vorbei. Vielleicht sollte ich mir diese Miederunterhöschen mit »Bauch weg«-Einsatz kaufen. Immer noch attraktiver als das, was ich momentan trage. Ein gigantisches Netzgebilde. Nennt sich Einmalunterhose. Wird vom Krankenhaus gestellt. Genau wie die riesigen Binden zum Einlegen. Binden, die auch einem Nilpferd spielend passen würden.
Als ich die Toilettentür öffne, erschrecke ich unabsichtlich die Trägerin eines
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