Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Mutti-Bademantel drüber. Gemeinsam mit Steckernasen-Claudi, meinem absoluten Lieblingsbaby, verlassen wir Zimmer 3. Inge starrt uns mit halboffenem Mund hinterher.
Meine Mutter ist richtig pottsauer. Auf die Müller-Wurz. »Wo hat die denn ihr Baby her, künstliche Befruchtung, oder?« knödert sie vor sich hin. »Eine unmögliche Frau. Und so ungepflegt, da vergeht einem ja alles.« Meine Mutter fällt ihre Urteile in Minutenschnelle. Mit unbarmherziger Härte. Daß eine Frau wie die Müller-Wurz einen Kerl für sich gewinnen konnte, hält meine Mutter für ausgeschlossen. »Bei aller Schlichtheit der Männer, so blöd sind sie nun wieder auch nicht«, beendet meine Mutter das Thema. Claudia hat zur Feier des Tages mal die Augen auf. Gebannt guckt sie ihre erzürnte Oma an, die sich unter Claudias Beobachtung auch schnell wieder einkriegt. Mein Kind scheint ihr echt zu gefallen. Was wird das mir für einen Auftrieb geben. Meine Position in der Familie verbessern. Werde ich mit einem Kind wie Claudia aus dem Windschatten meiner allmächtigen Schwester springen können? Der Tag scheint nach dem beschissenen Frühstück doch noch mein Freund zu werden.
Ich grinse beglückt vor mich hin. Da schießt Schwester Huberta um die Ecke. Ist diese Frau eigentlich überall? »Die Heiligkeit in Weiß ist in Anmarsch, husch ins Bettchen«, raunt sie mir zu. Welche Heiligkeit? Haben die Kirchen es so nötig, neue Mitglieder zu rekrutieren, daß sie nicht mal mehr vor einem Tag alten Säuglingen haltmachen? »Ich hab’s nicht so mit der Kirche«, antworte ich wahrheitsgemäß, und Schwester Huberta lacht in ihren Damenbart. »Visite kommt, ab ins Bett, und Sie gehen jetzt besser heim«, wendet sie sich an meine Mutter, »sonst kriege ich hier schon am frühen Morgen Ärger, und da hab ich null Lust drauf.« Meine Mutter gehorcht zwar ungern, aber vor Obrigkeiten jeder Art hat sie Respekt. Vor Ärzten allemal. Sie schmatzt meine Tochter ab und entläßt mich, ihre Tochter, mit einem saloppen »Bis demnächst, Andrea, und paß schön auf dein Kind auf«. Weg ist sie. So ist meine Mutter. Wie eine allmächtige Erscheinung.
Was war das jetzt eigentlich für ein Besuch? Irgendwie enttäuschend. Kaum hat man ein Kind, ist man keins mehr. Hätte nicht ich die Küsse verdient? Die Anerkennung? Bin nicht ich ihre Tochter? Ach, erst die Entbindung und jetzt das.
Schwester Huberta reißt mich aus der aufkeimenden Depression. Schnappt sich Claudia und schiebt mich Richtung Zimmertür. Was bleibt mir übrig? Brav watschele ich in mein Bett und kämme mir schnell noch mal die Haare. Wer weiß, wer hier so Visite macht. Die Müller-Wurz glotzt mich an. Mit einem Blick zwischen Mitleid und Zorn. Noch unentschieden. »Willst du über die Traumatisierung sprechen?« bietet sie dann doch recht mitleidsvoll an. »Nee«, grunze ich kurz und knapp zurück. Erst meine Mutter, die Allmächtige, und dann noch ein therapeutisches Gespräch mit der Müller-Wurz. Und das, wo mir gerade alle Glückshormone abhanden kommen. Auch so eine Schweinerei. Kaum rausgepresst, schon ist Ebbe mit den netten Hormönchen. Werden sofort abkommandiert. Wo man sie nach der Geburt doch so gut brauchen könnte. Da ist die Natur so was von gnadenlos. Plansoll erfüllt, Kind rausgepresst, Ende mit der Vortäuschung falscher Tatsachen. Jetzt beginnt die Realität. Schluß mit den Verwöhnhormönchen. Während ich stumm meinen Hormonen hinterherjammere, probiert’s die Müller-Wurz noch mal auf die Verständnisvolle: »Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit, Aufarbeitung ist der beste Start«, tönt sie zu mir rüber.
Ich merke, daß dieser Typ Frau nicht mit einem einfachen Nein abzuspeisen ist. Die Müller-Wurzens dieser Erde sind hartnäckig: »Inge, sei mir nicht bös, ich muß jetzt erst mal einige Stunden meditieren, bis mein Ich zu einem Gespräch bereit ist.« Wow, wie das ankommt. Sie stimmt fast ergriffen zu. Ich gratuliere mir im stillen zu meinem Geschick. So was von Menschenkenntnis aber auch. Auch so kann man ausdrücken: Halt die Klappe, Inge. Bei Klappe klappt’s.
Die Tür geht auf, und der Weißkittel-Auflauf startet. Wäre ein kleines schlagzeugspielendes Äffchen dabei, hätte der Einmarsch fatale Ähnlichkeit mit der abendlichen Parade in Disneyland Paris.
Ich kenne bisher nur Disneyland Paris. Mit der Firma waren wir da. War eine sogenannte Incentive-Reise. Als Belohnung durften wir, die Erfolgreichen der diversen Abteilungen, gemeinsam
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