Frisch gepresst: Roman (German Edition)
begeistert von meiner Raffinesse. Ich von seiner folgenden. Mir war es einfach schon von Anfang an klar: Das ist der Mann für mich. Da schlage ich zu. Den schnappt mir keine mehr weg.
Mittlerweile ist es 7.20 Uhr. Hier auf der Station herrscht ein Betrieb wie am Hauptbahnhof. Ein hektisches Kommen und Gehen. Und dann höre ich es. Schon auf dem Gang. Schwester Huberta klärt mit strengem Tonfall jemanden über die Besuchszeiten auf. Dieser Jemand hat eine mir verdammt bekannte Stimme. Mutti ist da. Nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Ein spannender Kampf. Mutti gegen Schwester Huberta. Da treffen zwei Giganten aufeinander. Wer wird siegen? Ich tippe auf meine Mutter. Die kann dermaßen hartnäckig sein, das hält selbst eine Oberlippenbartträgerin nicht aus. Ihrer Zähigkeit konnte auch mein Vater damals nicht widerstehen. Hat ihn jahrzehntelang sehr gereut.
Ich habe recht, denn schon steht sie im Zimmer. »Andrea, Schatz, du hast es tatsächlich geschafft«, kreischt sie quer durchs Zimmer. Was hat sie denn gedacht? Daß ich mein Baby wegen Unfähigkeit zum Gebären lebenslang austrage? Für immer im Bauch behalte? Sie traut mir wirklich nicht viel zu. »Nicht gleich einen Anfall bekommen, Andrea«, ermahne ich mich. Vielleicht hat sie es gar nicht so gemeint. »Das ging ja fast so flott wie bei Birgit, deiner großen Schwester«, strahlt sie mich an, »die läßt dich übrigens schön grüßen. Sie schaut heute mittag mal mit Desdemona vorbei. Ist das meine zweite Enkelin?« will sie wissen und guckt prüfend auf Claudia, die entspannt in Lila-Orange auf meinem Arm schläft. Wer soll es wohl sonst sein? Glaubt sie, wir spielen fröhliches Babytauschen am Morgen? Nimm meins und gib mir deins? »Ja, das ist sie«, antworte ich so gelassen wie gerade noch möglich und halte sie ihr hin. »Greif zu, Mama, das ist Claudia«, präsentiere ich meine Kleine. Das ganze Zimmer beobachtet meine Mutter. Frau Tratschner mit halboffenem Mund und Inge wissend bedauernd. Aber meine Mutter reagiert ausnahmsweise omamäßig. »Niedlich, die Kleine. Bißchen viel Nase, aber nicht übel für den ersten Versuch. Birgit war auch so zerdellt nach der Geburt. Und wie die sich gemacht hat. Also wird das wohl auch werden.« Jetzt wird schon meine Tochter mit meiner Schwester verglichen. Soll sie das gleiche durchmachen wie ich? Oder will mir meine Mutter nur klarmachen, daß mein Kind Chancen hat, so perfekt wie meine große Schwester zu werden?
»Ich glaube, von uns hat die wenig«, inspiziert meine Mutter Claudia, »sieht irgendwie nach Christoph aus.« Daß ich nicht lache! Christoph hat eine winzige Stupsnase. Und die einzige mit Steckernase in meiner gesamten genetischen Umgebung ist meine Mutter, die das aber bis heute – sie ist 59 – hartnäckig leugnet. Ich habe einen mutigen Moment und weise meine Mutter darauf hin: »Mutti, ich habe das Gefühl, nasenmäßig schlägt sie dir nach.« Sie ignoriert meine Bemerkung und knallt mir Päckchen auf die Bettdecke. Großzügig war sie schon immer, das muß man ihr lassen. Zwei Strampler, blau-weiß gestreift, beste Qualität, Markenware selbstverständlich, und ein Kuscheltier. Von Steiff. Ein Teddy. Meine Mutter ist eben der klassische Typ. 3 Päckchen und dreimal was fürs Kind. Mein Kind, nicht ihr Kind. Gerecht ist das auch nicht. Ich habe die Arbeit, und Claudia greift die Geschenke ab. Ich werde ja wohl nicht neidisch auf Geschenke an meine Tochter sein? Doch. Ich bin es. Eins für mich wäre auch schön gewesen. Als könnte sie Gedanken lesen, zaubert sie ein weiteres Päckchen aus ihrer Handtasche. Eindeutig aus der Parfümerie. Man sieht’s an der professionellen Verpackung. Eine Cellulitiscreme. Na, Wahnsinn. Mein sehnlichster Wunsch. Erfüllt von meiner rührenden Mutter. »Deine Schenkel können’s vertragen. Was ich da in den letzten Wochen an Streifen gesehen habe, du willst doch nicht, daß die Leute denken, du wärst ein Zebra, gell, Andrea?« liefert sie die Erklärung gratis dazu. Was sie lachen kann über ihren eigenen kleinen Super-Scherz! Artig sage ich danke schön und erspare mir, ihr zu sagen, daß ich mit ebendieser Creme schon seit Jahren erfolglos an diversen Körperteilen rumschmiere. Es war sicher nett gemeint. Auf ihre ganz spezielle Art.
Als ich ihr ein bißchen von der Geburt vorjammern will, werde ich rüde unterbrochen: »Gebären ist halt kein Spaß, wem sagst du das? Ich habe es selbst dreimal hinter mir, und bei deinem Bruder, also, das
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