Frisch gepresst: Roman (German Edition)
war eine wirklich fiese Plackerei. Bis der sich gedreht hatte. Ich mußte ihn ja fast in der Steißlage rausquetschen. Die Birgit ist wie von selbst geflutscht, hat selbst bei der Geburt keine Arbeit gemacht. Du mußtest ja mit der Zange geholt werden. Warst störrisch von Anfang an. Und ihr jungen Dinger heute, wie gut ihr es habt. All die Betäubungen und der Schnickschnack. Was wir Schmerzen hatten. Das hat keinen interessiert. Da hieß es: durchhalten. Heute ist das ja fast ein Spaß dagegen. Unter den Umständen würde ich es glatt auch noch zwei-, dreimal machen. Und bei meinen Zahnimplantaten, das waren erst Schmerzen! Dann lieber noch ein Dutzend Geburten.« Ich sehe schon, meine dramatischen Geburtserlebnisse muß ich mir für jemand anderen aufsparen. Bei meiner Mutter ist da kein Blumentopf zu gewinnen. Früher war alles anders und überhaupt viel schwerer. Wir verzärtelten Dinger sollen uns nur ja nicht so anstellen. Während sie Claudia überraschend sanft den Kopf streichelt, startet sie ihren Rundumschlag zum Thema Erziehung. Wenn es nach ihr ginge, müßte ich Claudia spätestens nächste Woche mehrmals täglich aufs Töpfchen setzen. »Grauenvoll, wie heute die Dreijährigen noch mit Windeln rumlaufen, ihr wart mit 10 Monaten sauber, selbst du, Andrea«, ereifert sie sich. Die Müller-Wurz schaut meine Mutter entsetzt an. »Aber Mutti«, probiere ich die zarte Gegenwehr, schon um vor Müller-Wurzens Inge nicht als absolut autoritätshörige Deppin dazustehen, »die können ihren Schließmuskel doch frühestens mit 2 Jahren unter Kontrolle kriegen. Wie sollen sie da mit 10 Monaten aufs Töpfchen?« Meine Mutter rollt die Augen und stöhnt leicht angenervt. »Was interessieren mich irgendwelche Schließmuskeln? Wer sie nicht draufsetzt, hat’s in der Windel. Aber heutzutage mit diesen Wegwerfdingern ist das halt nicht mehr so eklig wie mit denen, die wir hatten. Aus denen konnten wir dann täglich mehrfach die Scheiße rauswaschen. Widerlich.« Inge hält es kaum mehr in ihrem Bett. Ihre Empörung ist so was von unübersehbar. »Ausscheidungen sind das Natürlichste der Welt«, erklärt sie, mühsam um Ruhe bemüht, meiner Mutter. »Kinder müssen ein gutes Verhältnis zu ihren Ausscheidungen bekommen, Wörter wie ›eklig‹ sollten in diesem Zusammenhang niemals fallen. Nichts, was aus uns kommt, ist schlecht«, doziert sie vor sich hin.
Meine Mutter liebt Vorträge von fremden Leuten. Vor allem von solchen, die sie nicht gefragt hat. Frauen wie die Müller-Wurz sind ihr eh suspekt. Und Ökoläden miese Abzockerei. »Warum sollte ich für Fallobst auch noch den doppelten Preis bezahlen«, hat sie bei ihrem ersten Ökoladenbesuch gefragt und der junge Mann im ungebleichten Schafswollpullover hat vor lauter Empörung fast sein Karma verloren. Meine Mutter hält Ökoleute für häßliche, frustrierte Gestalten, denen selbst ein Vorher-Nachher-Besuch in der Brigitte -Redaktion nicht helfen würde. »Wenn es Ihnen Freude macht, jahrelang vollgeschissene Windeln zu wechseln, nur zu«, weist sie Inge in ihre Schranken. Und das in ihrem härtesten Mutter-Ton. Dem, der absolut keinen Widerspruch duldet. Die Müller-Wurz ist aber nicht so leicht einzuschüchtern wie meine Schwester und ich. Jahrelange Diskussionen in früchteteegeschwängerter WG -Atmosphäre haben sie zäh gemacht. Bourgeoise Weiber wie meine Mutter sind für sie attraktive Gegner. »Kinder, die zu früh aufs Töpfchen müssen, sind für ihr ganzes Leben geschädigt. Können sich nicht normal entwickeln«, knallt sie meiner Mutter entgegen. »Jetzt ist aber Schluß«, keift die zurück, »wollen Sie vielleicht behaupten, meine Tochter wäre nicht normal, Sie impertinente Person.« »Ring frei«, unterbreche ich den Schlagabtausch und schäme mich ein ganz bißchen. Für die Müller-Wurz und meine Mutter. Frau Tratschner rettet die Situation: »Ich hätte auch was zum Thema beizutragen, aber dafür brauche ich meine Bettpfanne und ein bißchen Ruhe.« Soviel Witz hätte ich der gar nicht zugetraut. Meine Mutter begreift erst nicht. Als Schwester Huberta, die mit dem Oberlippenbart, mit der Bettpfanne ins Zimmer stapft, dämmert es ihr. Und auch mir. Das war gar kein Scherz.
»Andrea, laß uns ein bißchen über den Gang gehen«, schlägt meine Mutter vor, »die Expertin für natürliche Ausscheidungen will sicher hier an Ort und Stelle bleiben, ich lege keinen gesteigerten Wert darauf.« »Gute Idee«, befinde ich und ziehe meinen
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