Frisch gepresst: Roman (German Edition)
fängt an zu brüllen. Es will vielleicht noch bleiben, hat jetzt schon Visionen der schlimmsten Art von der WG . »Ich weiß, auch du, mein Sohn, willst hier raus«, redet die Müller-Wurz auf ihn ein. Als ihn das nicht etwa beruhigt, sondern noch heftiger schreien läßt, schiebt sie ihm hastig ihre rechte Brustwarze in den Mund. Und der Kerl gibt Ruhe. Nach dem Frühstück, meinem und dem meiner Tochter, döse ich noch ein Weilchen vor mich hin. Die Kleine liegt neben mir, und wir haben genug daran, uns gegenseitig genau zu inspizieren. Wie aufmerksam so kleine Wesen schon aus der Wäsche gucken können. Phänomenal. Ab und an flüstere ich ihr zarte Liebesschwüre ins Ohr und freue mich, daß sie nicht gleich losplärrt. Telefonklingeln holt uns zurück in die wirkliche Welt. Bannt den Zauber, der über uns lag. Ich bin wirklich keine verklärte Romantikerin, aber die Situation hatte was Entrücktes. Zwei jenseits von Gut und Böse.
»Ich werde es ihr ausrichten«, ist alles, was Frau Tratschner am Telefon von sich gibt. »Für Sie liegt ein Päckchen an der Pforte, haben die von der Pforte gemeint, und ob Sie es vielleicht schnell mal abholen könnten«, richtet sie mir aus. »Was für ein Päckchen?« siegt meine Neugier über jegliche Romantik. Frau Tratschner hat nicht nachgefragt. Weiß es nicht. Ist für mich abgegeben worden. Mehr hat ihr keiner gesagt. »Mein Gott, wenn man nicht alles selbst macht«, donnert es mir durch den Kopf. Ein Päckchen. Wie spannend. Von wem das wohl sein könnte? Vielleicht endlich das heißersehnte und auch verdiente Schmuckstück, verstohlen von Christoph an der Pforte deponiert, um mir eine Morgenüberraschung der Extraklasse zu bereiten.
Am liebsten würde ich, so wie ich bin, zur Pforte stürmen. Ich sprühe einen Hauch Duft auf, kämme schnell über die Haare und hätte, falls Frau Tratschner mich nicht netterweise daran erinnert hätte, glatt meine Tochter auf der Bettkante vergessen. Schnell schäme ich mich ein wenig. So geschenkegeil sind aber auch nur die Bescheuertsten. Ich verstaue Claudia, die ein bißchen verdattert guckt, in einem dieser fahrbaren Gitterbettchen und mache mich auf den Weg zur Pforte. Nicht, daß sich irgendein raffiniertes Etwas mein Geschenk unter den Nagel reißt. Außer Christoph fällt mir niemand ein, der Geschenke für mich an der Pforte abgeben würde. Im Liftgedränge merke ich, vor allem an den Blicken der anderen, daß ich in der Eile meinen Bademantel vergessen habe. Mein T-Shirt ist zwar am Bauch reichlich bemessen, dafür fehlen in der Länge einige Zentimeter. »Umsonst, heute freie Sicht auf Giga-Schenkel, nur jetzt und hier, ergreifen Sie die Gelegenheit, so was haben Sie noch nicht gesehen«, würde der Kirmesausrufer titeln. Ich zerre ein bißchen am T-Shirt, das dadurch zwar nicht länger, aber schiefer wird.
Als die Lifttür endlich aufgeht, schieße ich wie in einem billigen Krimi an allen vorbei aus der Tür und renne Richtung Pforte. Mit hochrotem Kopf und verzogenem T-Shirt stehe ich vor einem sympathischen Jungspund. Er tut so, als sähe ich absolut normal aus. Sind wahrscheinlich perfekt gebrieft, die Leute hier am Empfang. Schließlich liegt die Psychiatrie nebenan, und die Jungs haben sicherlich schon eine Menge schräge Typen hier gesehen. »Morgen, Schnidt mein Name, ich soll hier was abholen«, versuche ich es kurz und schmerzlos für beide Seiten zu machen. Der Kleine nickt. Mann, hat der Leberflecken im Gesicht. Sollte dringend mal einen Hautarzt aufsuchen. Das kann schnell böse enden mit diesen Leberflecken. Absolute Vorsicht ist geboten, wenn die am Rand so ausfransen oder dunkel werden. Dann müssen sie entfernt werden. Ich schiebe mein Gesicht etwas mehr über den Tresen, um ihn, vielmehr seine Leberflecken, genauer zu inspizieren. »Ich war vor 4 Tagen zur Routinekontrolle, bemühen Sie sich nicht, Frau Schnidt«, kommentiert der Pförtner meine angestrengten Blicke.
Ich dachte, das heute wäre ein guter Tag. Ohne Fettnäpfchen und so. Ich stammele eine Art Entschuldigung und bin froh, als ich endlich mein Päckchen in der Hand habe. Es sind sogar zwei Päckchen. In relativ geschmacklosem Geschenkpapier. Aber was interessiert mich schon das Papier. Die Verpackung rangiert bei mir immer noch hinter dem Inhalt. Die Päckchen sind länglich. Viereckig. Für eine Schmuckschachtel ein merkwürdiges Format. Colliers könnten es der Form nach sein. Daß mir Christoph aber gleich zwei davon schenken könnte,
Weitere Kostenlose Bücher