Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Krampfadern im Hintern. Da hat es mir wirklich fast gereicht. Dazu der Watschelgang und mein ständiges Schwitzen. Nicht zu vergessen die ersten 3 Monate; in denen mir fast ständig schlecht war. »Heute schon gekotzt?« war der Running Gag unter meinen Freunden. Was die da gelacht haben, sagenhaft. Besonders die Deppen, die bei der kleinsten Magenverstimmung gerne mal 2 Tage bei der Arbeit fehlen. Ich habe sie gehaßt. So wie die zahlreichen Wasserdepots in meinem Körper. Ich hatte solche Vorräte Wasser in meinen Beinen, daß ich in jedem beliebigen Seniorenwohnheim eine Spitzenreiterposition eingenommen hätte – wenn es um die Ödemgröße ginge. Auch die lustigen Bemerkungen über meine Füße und meine Fußzehen, die gegen Ende meiner Schwangerschaft angeblich wie feiste Cocktailwürstchen ausgesehen haben, waren mir verhaßt. »Und der Nagellack ist der Ketchup«, hat Sabine, eigentlich eine wirklich gute Freundin, in einem irre komischen Moment noch einen draufgesetzt.
Ich weiß nicht, ob einem in der Schwangerschaft jeglicher Humor abhanden kommt. Oder ob ich nie besonders viel davon hatte. Möglich. Diese Art der Witze hat mich jedenfalls eher zum Heulen gebracht. Das war sowieso das einzige, was ich richtig ausgiebig konnte in meiner Schwangerschaft: Weinen. Selbst bei einer Wiederholung der Waltons, als John Boy »Gute Nacht allerseits« rief, hat es mich so absolut überwältigt, daß ich 25 Minuten aus dem Schluchzen nicht rauskam. Die Tonlage oder die Situation, keine Ahnung, was es war. Mein völlig enthemmtes krampfartiges Weinen hat Christoph sogar aus seinem Arbeitszimmer gelockt. Ein Fast-Wunder, denn normalerweise muß es zumindest Essensduft sein, der ihn dazu bringt, seine kleine Studierstube, wie er sie neckisch nennt, zu verlassen. Er dachte, es wäre was mit meiner Omi. Wie der große tapfere Ritter hat er den Arm um mich gelegt, etwas von »Alles wird wieder gut« genuschelt und gefragt, was denn eigentlich los sei? Als ich nur John Boy stammeln konnte, hat er sich an den Kopf gegriffen und gefragt, »ob mir der Embryo aufs Hirn geschlagen wäre«. Dieser rührend aufmerksame und liebevolle Kommentar hat immerhin dazu geführt, daß ich kurz mit dem Weinen aufgehört habe. Meine Traurigkeit hat sich blitzschnell in eine rasende Wut verwandelt, vielleicht, weil es einfach das Allerletzte ist, in einem Zustand, der sowieso alles andere als leicht ist, auch noch mies behandelt zu werden. Wie eine debile, unzurechnungsfähige Person.
Wären wir verheiratet gewesen, hätte ich die Scheidung eingereicht. So konnte ich noch nicht mal damit drohen. Ein erheblicher Nachteil des unehelichen Zusammenlebens. Nicht zu heiraten war Christophs Vorschlag. »Vater zu werden ist mir erst mal genug«, war seine detaillierteste Aussage zu dem Thema: »Wollen wir, oder lassen wir es«. Da es nicht meine Art ist, einen Mann, selbst einen Christoph, der ja durchaus gute Seiten hat, auf Knien um seine Hand anzubetteln, habe ich das Thema nie mehr angesprochen. Das hat er jetzt davon.
Wow, heute gibt’s echten Bohnenkaffee zum Frühstück! Wie schön. Zwei Brötchen und Erdbeermarmelade bringen mich fast in einen Glückstaumel. Frau Tratschner hat verdaut, mein Frühstück ist eine Offenbarung, vor allem im Vergleich mit gestern. Und heute will Heike, meine Münchener Freundin, vorbeikommen. Was für ein angenehmer Tag. So kann es weitergehen. »Wie leicht so eine Jungmutter zufriedenzustellen ist«, versuche ich mich selbst aus meinem Fröhlichkeitsrausch zu reißen. Besser als Wochenbettdepression ist die Laune allemal. Ob grundlos oder nicht, spielt da doch keine Rolle. Schwester Huberta informiert uns über die Highlights des Tages. »In anderthalb Stunden ist Visite, und heute nachmittag kommt die Kinderärztin.« Hat Schwester Christel nicht was von einem Kinderarzt erzählt? Hat der über Nacht sein Geschlecht verändert? Ist er zur Frau geworden? Oder wissen sie schlichtweg nicht genau, wer kommt, sondern nur, daß irgendwer kommt, der von Kindern was versteht? Ich beschließe, mich überraschen zu lassen. Hauptsache kompetent. Die Müller-Wurz rührt leicht lustlos in ihrem Tupperschälchen. Müslipampe. Vom vielen Rühren auch nicht appetitlicher geworden. Scheint nicht ihr Tag zu sein. »Darf ich heute heim?« nölt sie die arme Schwester Huberta voll. »Das entscheidet die Visite, aber ich denke, es sieht gut aus für Sie«, kommt prompt und zuversichtlich die Antwort. Das Tiefkühlhühnchen
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