Frisch gepresst: Roman (German Edition)
erscheint mir höchst unwahrscheinlich. Eine Perlenkette? Für mich? Ich glaube nicht, daß ich es vor Aufregung bis oben aufs Zimmer aushalten kann.
Bis zur Besuchercouch, zwei Meter neben der Pförtnerloge, kann ich mich allerdings zügeln. Dann ist das erste Paket reif. »Edle Tropfen in Nuß« lese ich schon leicht entsetzt. Das zweite enthält Weinbrandbohnen mit Asbach Uralt gefüllt. Ich könnte platzen vor Zorn. Wer hat mir das angetan? Ich mag keine Alkoholpralinen. Und diese schon gar nicht. Haltbar bis … Ich fasse es nicht. Ein Oberklops. Bis letzte Woche. Welcher Superarsch will bei mir auf möglichst elegante Art und Weise seine angegammelten Vorräte loswerden? Dem werde ich es heimzahlen. Am liebsten würde ich die Schachteln in die nächste Tonne stopfen. Warum eigentlich nicht? Fort damit. Ich lasse mich doch nicht von zwei Pralinenpräsenten so aus der Fassung bringen. Doch. Anscheinend schon. Wie niederträchtig Menschen sein können. Ein großer Drahtgittermüllbehälter erscheint mir perfekt. Mit voller Kraft hole ich aus und schmettere die edlen Tropfen mit ihrer Nuß in die Tonne. Weil sowieso das halbe Foyer blöde glotzt, denke ich »wenn schon, denn schon« und klettere den Tropfen hinterher. Genüßlich hüpfe ich mit aller Energie meines Wabbelbauches und meiner Giga-Schenkel auf den Dingern herum. Die Tropfen als Symbol für alles, was mir in letzter Zeit auf den Geist ging. Es macht Spaß, ein kleines bißchen bekloppt zu sein. Richtig Amok zu laufen ist normalerweise nicht mein Ding. Aber an dieser Art des Zwergenaufstandes könnte ich mich eventuell gewöhnen. Die Pralinen quietschen auch so schön unter meinen Pantoffeln.
»Frau Schnidt, um Himmels willen«, tönt eine mir bekannte Stimme in unmittelbarer Nähe. Ich drehe mich zur Stimme, und es trifft mich fast der Schlag. Mein Chef. Was macht der denn hier? Möglichst elegant klettere ich aus dem Drahtgitterpapierkorb und bemerke nur seinen konsternierten Blick auf das, was von den Edlen Tropfen mit Nuß übriggeblieben ist. »Eigentlich wollte ich Ihnen nur zwei kleine Aufmerksamkeiten an der Pforte abgeben. Aber dann habe ich den Kiosk entdeckt und mich noch für den Tag versorgt«, erklärt mir mein Chef seine Anwesenheit im Krankenhausfoyer. Jetzt dämmert es mir. Der alte Geizkragen hat mir seine angegammelten Pralinen vermacht, und damit er Porto spart, hat er sie auch noch schnell selbst vorbeigefahren. Ich weiß leider nicht, wieviel von meinem Veitstanz er mitbekommen hat. Was der darüber in der Firma erzählt, ist noch mein kleinstes Problem. Obwohl ich es ungern hören möchte. Wichtiger aber ist, wie ich hier möglichst sauber aus der Situation rauskommen kann. Wie ich dem Mann klarmachen kann, daß ich nicht völlig durchgeknallt bin? Erst mal schwalle ich ihn mit heiteren Geburtsberichten zu. Von Claudia, dem niedlichen Kind bis zur guten Unterbringung im Krankenhaus erstatte ich ihm Bericht. Was ihn offensichtlich noch mehr verwundert. Er ist ansonsten kein Chef, dem man Privates, welcher Art auch immer, mitteilt. Im Gegenteil. Daß ihm jemals eine Mitarbeiterin über ihren Dammschnitt, seine Richtung oder die Schwierigkeiten beim Pinkeln erzählen würde, hätte der sich nie träumen lassen. Ich natürlich auch nicht. Aber alles ist besser, als ihm zu erklären, daß ich gerade auf seinem Geschenk herumgestampft bin. Und zwar absichtlich. Und mit Genuß.
Meine Rettung naht ahnungslos am Haupteingang. An ihrem roten sexy Fummel habe ich sie sofort erkannt. Mein Chef folgt meinem Blick. Er ist über Sabines Auftauchen mindestens so entzückt wie ich. Eines muß man Sabine lassen. Sie macht oft gehässige Witze, leider auch über mich, aber schlagfertig: das ist sie. Als ich ihr freudig aufgeregt »Hallo, Sabine« zurufe, bemerkt sie sofort, daß was nicht stimmt. Wie bei diesen Suchbildern in Fernsehillustrierten. Wo man rausfinden muß, was nicht hierhergehört. In Kinderbüchern gibt’s so Spielchen auch.
Sabine hat sofort geschnackelt, daß ich in einer unsagbar peinlichen Situation stecke. Sie steckt in einem der Tageszeit wenig angemessenen Kleid. Ihrem Standardverführdress. Dem roten Samtteil. Wie wenig sich das für Krankenhausbesuche eignet, habe ich mir erst mal verkniffen. »Daß du jede verlorene Wette so ernst nimmst, das spricht für dein Ehrgefühl«, begrüßt sie mich herzlich und so ungezwungen, als gäbe es nichts Normaleres als eine rotgesichtige, dralle Wöchnerin in zu knappem T-Shirt
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