Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Sex haben, einfach nicht. Die meisten Leute, die ich kenne, hätten da doch gewisse Hemmungen. Daß es Christoph und mich antörnen würde, wenn Frau Tratschner jeden Stöhner mitbekommt, kann ich mir auch nicht vorstellen. Es ist trotzdem nett, mal wieder so richtig zu schmusen. Meinen Schwiegereltern scheint es auch zu gefallen. Inge und Rudi. Schon wieder. Oder immer noch? Habe ich eine Erscheinung? Nein. Eindeutig nein, denn Erscheinungen sprechen nicht. Inge legt sofort los: »Wo is denn unser Enkelscher? Omi is schon ganz verrückt nach der und hat der aach was mitgebracht.« Eine Riesenpuppe. Sie liegt in Inges Arm. Wie ein Baby. Lebensgroß. »Alle Mädscher lieben Puppe«, entschuldigt sich Inge sofort. Sie hat meinen skeptischen Blick bemerkt und ist schon wieder unsicher, ob sie nicht möglicherweise einen Fehler gemacht hat. »Sie wird nichts mehr lieben als diese Puppe«, beruhige ich Inge, die sowieso zu hohem Blutdruck neigt. Und sich wegen einer Puppe zu echauffieren geht definitiv zu weit. Christoph holt seine Tochter. Wieder stehen die drei wie Belemmerte vor dem Kind. Fast andächtig.
Schwester Huberta unterbricht diesen Moment. »Claudia soll in die Wanne, mögen Sie, Frau Schnidt, oder soll der Gatte?« offeriert sie mir galant eine Drückebergermöglichkeit. Mit meinen zittrigen Fingern hätte ich Angst, Claudia könnte mir ins Becken glitschen, und das möglichst noch vor den Augen meiner Schwiegereltern. Christoph will seine Tochter baden. Meine Chance, Selbstlosigkeit und Großzügigkeit zu demonstrieren und das sogar vor Publikum. Ganz will ich mir das Schauspiel aber nicht entgehen lassen. Meine Schwiegereltern dürfen nicht mit rein. Ins Babyzimmer ist der Zutritt nur für Eltern erlaubt. »Net aach för Großeltern?« flehen sie Schwester Huberta an. Freundlich, aber in einem Ton, der klarmacht, daß Diskussionen zwecklos sind, verweigert sie ihnen den Eintritt. Aus Prinzip. »Wenn die anderen das sehen, dann habe ich die Bescherung«, versucht sie die beiden zu trösten.
Wie im Exotarium pressen sie die Nasen an die Scheibe und versuchen, aus der Entfernung einen Blick auf sämtliche Körperteile ihrer Enkelin zu erhaschen. Man merkt, daß es ihr erster Enkel ist. So gaga würde sich meine Mutter nicht aufführen. Sie hat das Ganze ja auch schon mit Desdemona mitgemacht. Bei drei Kindern ist es wahrscheinlich, daß man irgendwann Enkelkinder bekommt. Bei einem, noch dazu einem so unentschlossenen Gesellen wie Christoph, ist es eine extrem unsichere Situation. Deshalb sind Christophs Eltern auch so hingerissen. Süß, wie sie da stehen.
Christoph ist absolut konzentriert. Schwester Huberta gibt die Anweisungen, und er befolgt sie. Wie in einer Fahrschule. »Vorne bitte rechts abbiegen« wird ersetzt durch »Kopf sanft abstützen und den Körper ins Wasser gleiten lassen«. Gut machen die zwei das. Es wirkt jedenfalls total professionell. Claudia liegt entspannt im Wasser. So haben sie uns das im Säuglingspflegekurs auch erklärt. »Klappt doch prima«, lobe ich Christoph. Der verbeugt sich stolz in Richtung Scheibe. Auch Schwester Huberta scheint zufrieden mit ihrem Schüler. Christoph darf Claudia noch wickeln und anziehen, und das Fläschchen bekomme ich in die Hand gedrückt. Das, was sich hier nach einer schnellen Angelegenheit anhört, hat im wirklichen Leben locker eine halbe Stunde gedauert. Ohne die Unterstützung von Schwester Huberta werden wir sicherlich mindestens die dreifache Zeit brauchen. Das sieht mir nach einem tagesfüllenden Programm aus. So langsam dämmert mir die Dimension der Arbeit, die da auf uns zukommt. Während der Schwangerschaft gibt’s ja von allen Seiten schlaue Bemerkungen und Ratschläge. Gefragt und noch häufiger ungefragt. Aber insgeheim denkt man bei allen Horrorstories: Mir wird das nicht passieren. Ich lasse mich von so einem kleinen Etwas doch nicht komplett einspannen.
Es wird nicht mich komplett einspannen, es wird uns komplett einspannen, das wird mir langsam klar. Was tun Leute, die Siebenlinge bekommen haben? Sich zerreißen? Nicht mal vierteilen würde langen, um allen Kindern gerecht zu werden. Welch ein Alptraum. Was stelle ich mich da jetzt schon an? Bevor es richtig losgeht. Ich brauche ein Aspirin. Oder zwei. Claudia ist bei Christoph und seiner Mini-Sippe gut untergebracht. Mit ausreichend Kopfschmerzmitteln ausgestattet, komme ich ins Zimmer zurück. »Du siehst mer werklisch net sehr gut aus, Spatzelscher«, bemerkt meine Inge
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