Frisch gepresst: Roman (German Edition)
dann ab ins Bett. Habe die nötige Bettschwere. »Schlafen ist eine der schönsten Beschäftigungen überhaupt«, denke ich, und ehe ich das weiter ausführen könnte, bin ich auch schon weg. Eingeschlafen.
Ich schlafe unruhig. Höre Stimmen. Gemurmel und Geschiebe. Ich glaube, ich habe wieder eine neue Nachbarin. Bettnachbarin. Die Müller-Wurz-Nachfolgerin ist da. Schlagartig wird mir klar, was ich vergessen habe: Aufzurücken. Den Waschbeckenplatz zu besetzen. Jetzt ist es zu spät. Heimlich, still und leise werden hier die Waschbeckenplätze vergeben. Um 3.30 Uhr, mitten in der Nacht, muß man noch auf der Lauer liegen. Obwohl ich, ehrlich gesagt, ja den gesamten Tag Zeit hatte. Und sogar den Tag davor. Zum Aufrücken. Nur: da ist es mir nicht aufgefallen. Das mit der Mitte. Und dem freien Waschbeckenbett. Jetzt wie eine Wahnsinnige aus dem Bett zu springen und ältere Rechte einzuklagen wäre doch kindisch. Das nächste Mal passe ich halt ein bißchen mehr auf. Welches nächste Mal? Hat mich der nächtliche Wahn gepackt? Entbinden ist für mich lebenslang gestrichen. Das habe ich mir doch geschworen. Einmal und nie wieder. Neige ich schon zur Vergeßlichkeit? Muß man es mir auf die Stirn tätowieren? Ich könnte auch so mal ins Krankenhaus kommen, nehme ich mich vor mir selbst in Schutz. Wegen Krankheit zum Beispiel.
Im Nachbarbett wimmert es. Erbärmlich. Was die wohl hat, die Ärmste? Gut hört sich das jedenfalls nicht an. Schwester Christel verspricht Linderung. Ich erkenne sie nicht an ihrer Stimme, sondern an ihrem Lipgloss. Der leuchtet in der Nacht. Ob das alle tun oder nur ein Spezialgloss? Trotz meiner Neugier, meines Mitleids und des zaghaften Gejammers schlafe ich wieder ein.
Am nächsten Morgen weckt mich die Tratschner: »Hast du das mitbekommen heute nacht? Wir haben eine neue Zimmergenossin.« Stimmt. Ich erinnere mich. An die unruhige Nacht. Ein schneller Blick zum Waschbecken. In dem Bett liegt was. Eindeutig. Eingerollt wie ein Igel zum Winterschlaf. Immer noch zaghaft schluchzend. Selbst das Erscheinen des Frühstücks kann unsere neue Mitbewohnerin nicht unter der Bettdecke hervorlocken. Die Tratschner und ich postieren uns an den Seiten des Bettes. So wollen wir dann auch nicht frühstücken. Sanft ziehen wir die Decke ein bißchen weg, und eine ziemlich junge Frau schaut uns aus großen Augen entsetzt an. Nach und nach entlocken wir ihr, was los ist. Sie hat sich doch glatt erdreistet, schon wieder eine Tochter zu bekommen. Die dritte in 4 Jahren. Es war ihre letzte Chance. Jetzt wird ihr Mann sie verstoßen. Oder sich eine andere Frau dazunehmen. »Alles nur meine Schuld« scheint ihr Lieblingssatz. 2 Stunden brauchen die Tratschner und ich, um ihr mit einem Schaubild klarzumachen, wer fürs Geschlecht verantwortlich ist. Wir, die Frauen, erklären wir ihr, geben immer ein X Chromosom dazu, wir haben nämlich gar nichts anderes, und die Herren der Schöpfung ergänzen es durch ein X oder ein Y. Die Kombination aus 2 X ergibt ein Mädchen und XY einen Jungen. (Ob deswegen die Sendung auch » XY ungelöst« heißt? Weil Männer einfach eine rätselhafte Spezies sind? Möglich wäre es.) Frau Özgür will uns erst nicht so recht glauben. Die Tragweite dessen, was wir ihr damit sagen wollen, dämmert ihr nach und nach. »Dann Mann schuld, ich nix schuld«, strahlt sie uns an. Begeistert klatschen die Tratschner und ich in die Hände. Exakt. Genau so ist es. Sie bittet, mal telefonieren zu dürfen. 20 Minuten hitzige Gefechte. Dummerweise sprechen weder die Tratschner noch ich Türkisch. Aber daß da jemand einen ordentlichen verbalen Einlauf gemacht bekommt, ist eindeutig. »Mann Entschuldigung gesagt. Bald kommen«, faßt sie das Gespräch für uns zusammen. Wenn das immer so leicht wäre.
Gut gelaunt frühstücken wir. Mit unseren Babies. Nur Mädchen. Barbaras Melanie, meine Claudia und die Haarkönigin des Zimmers, die Tochter von Frau Özgür. Leider noch namenlos. »Nur Jungennamen gedacht«, erklärt uns Frau Özgür den Grund. »So gehofft auf Junge, aber jetzt, wo ich nix schuld, Mädchen auch gut.« Und da wettern irgendwelche Leute gegen Emanzen. Ha!
Ich empöre mich noch still vor mich hin, als die Visite hereintrabt. Dr. Marek ist gut drauf. Sieht man sofort. Auf unseren Wunsch bestätigt er Frau Özgür noch mal die Sache mit den X-en und dem vermaledeiten Y. Ich habe den Eindruck, so aus einem Männermund gefällt ihr die XY -Darstellung noch besser. »Du Mann sagen?«
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