Frischluftkur: Roman (German Edition)
besorgt.
»Vielleicht hast du Recht. Nein, ganz bestimmt hast du sogar Recht.« Marlies setzt sich ebenfalls auf und sieht aus dem Fenster. »Das Dorf ... es hält mich noch gefangen. Und ich will nicht davonlaufen. Nicht einfach abhauen. Das wäre ja, als würde ich vor mir selbst weglaufen.«
»Das sollst du nicht!« Der Regisseur umarmt sie. »Ich will dich ja so, wie du bist – und nicht auf der Flucht vor dir. Oder soll ich mal einen Film mit dem Titel Marlies rennt drehen?«
»Na, das wird bestimmt ein Kassenschlager«, kichert Marlies. »Verstehst du mich?«
»Ja, ich verstehe dich«, sagt der Regisseur. »Und ich werde auf dich warten.«
Marlies ist gerührt. Diesen Satz sagen in den Heftchenromanen immer nur die Frauen. Nie hat sie sich vorstellen können, dass ein Mann so etwas sagt. Und dann auch noch zu ihr.
***
Edith ist glücklich. Diesen Satz hat ihre Chefin noch nie zu ihr gesagt. Aber nun wiederholt sie ihn sogar: »Meine Liebe, ich bin wirklich sehr zufrieden mit Ihnen.«
Das meint Inez von Gravenberg genau so, wie sie es meint. Ihre Mitarbeiterin hat wirklich ganze Arbeit geleistet.
»Es fehlen nur noch wenige Unterschriften«, strahlt Edith sie an. »Und die habe ich auch bald. Dann ist der Weg für Sie frei.«
»Nein, nicht für mich«, sagt Inez von Gravenberg.
Edith erstarrt hinter ihrem Lächeln. Habe ich etwas Falsches gesagt?
»Nicht für mich, nicht für Sie«, fährt die Chefin mit einem milden Lächeln auf den Lippen fort, »sondern für die Zukunft.« Obwohl der kleine Schleier wie immer ihre Augen bedeckt, meint Edith, in entsprechender Höhe ein triumphierendes Blitzen sehen zu können. »Wann ist es spätestens so weit?«
»Die Letzten dürfte ich nächsten Freitag bekommen.«
»Sehr gut«, sagt Inez von Gravenberg andächtig. »Wirklich sehr gut.« Sie wird ihrer Assistentin Anweisungen geben, an diesem besonderen Tag alle anderen Termine abzusagen.
13. Kapitel:
Die Junggesellenversteigerung
16. September
Susi schnauft. Sie lässt sich nicht gern hetzen. Ich bin bei der Arbeit und nicht auf der Flucht , steht auf dem sorgfältig laminierten Schild, das sie hinter ihrem Schreibtisch in der Kreissparkassen-Filiale neben dem Sparschweinregal aufgehängt hat. Und das hat nichts mit Humor zu tun, das ist ernst gemeint.
Susi würde sich am liebsten auf ihren Stuhl sinken lassen, den sie mit ihren Hüften bis über die Armlehnen ausfüllt, einen kleinen Plausch mit ihren Sparschweinen halten und die sorgsam aufgetürmte Schokokuss-Pyramide aufessen. Doch gleich nachdem sie ihr zweites Frühstück so liebevoll angerichtet hat, kommen die ersten Kundinnen. Jetzt stehen schon fünf Frauen in dem offen gestalteten Raum herum und scheuchen Susi von einer Ecke in die andere. Sie wollen alle Geld, bar und sofort. Der Geldautomat, an den Susi sonst die Kunden verweist, funktioniert mal wieder nicht. Zurzeit leider keine Auszahlung möglich ist sein einziger Kommentar zum überraschenden Ansturm. Susi bewegt sich mit chamäleonhafter Geschwindigkeit auf der Suche nach Auszahlungsformularen über die terrakottafarbene Auslegware und wünscht sich die Zeit zurück, in der Panzerglasscheiben die Kundschaft angenehm auf Abstand gehalten haben. Überhaupt: Abstand. Diskretionsabstand. So etwas kennt man hier nicht. Die Damen rücken sich gegenseitig auf die Pelle, jede will sehen, wie viel Bares die andere holt. Zehn Euro mehr oder weniger können entscheidend sein, heute Abend bei der Junggesellenversteigerung.
Doch die, die jetzt erst ihre Konten plündern, sind die harmlosen Bieterinnen. Die wirklich unberechenbaren horten ihr Geld zuhause. Wie Wilma. Sie misstraut »diesen Finanzhaien«, wie sie die Angestellten der Sparkasse nennt. Überall im Haus hat sie kleine Goldbarren versteckt, die Scheine bewahrt sie ganz klassisch unter der Matratze auf. Davon wird sie sich heute Abend einen Stapel einstecken, in die Taschen ihrer besten Kittelschürze, und sich einen Traum erfüllen. Sie hofft allerdings, dass sie diesen Traum zum Schnäppchenpreis bekommt.
***
Helmut hofft, dass es im schummrigen Saallicht nicht so auffällt und hantiert mit zwei Handspiegeln, um das fatale Ergebnis der Schaumtönung auch an seinem Hinterkopf begutachten zu können. Er wollte seine Haarfarbe noch schnell auffrischen, um seinen Preis ein wenig in die Höhe treiben zu können, doch in der Hektik hat er sich in der Packung vergriffen. Statt Rosskastanie natur steht Aubergine drauf, doch das hat er erst
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