Frischluftkur: Roman (German Edition)
nach Ablauf der vorgeschriebenen Einwirkzeit entdeckt. Nun schimmert sein Haupt in tiefem Lila. Eine Katastrophe!
Immerhin passt ihm der Smoking, den er sich vor Jahren gegönnt hat. Allerdings hat Helmut ihn bisher nie angezogen, denn er wäre sich damit immer ein wenig overdressed vorgekommen. Aber heute , beschließt Helmut, ist die richtige Gelegenheit. Bei der Junggesellenversteigerung kann er gar nicht overdressed genug sein.
»Lila, der letzte Versuch«, höhnt Walter, als Helmut das Kabuff hinter der Bühne betritt. Backstage – Zutritt für Unbefugte strengstens verboten!, steht an der Tür. Hier sammeln die Organisatorinnen das Kapital des Abends: die zu versteigernden Junggesellen. Vierzig sind es, man will ja was bieten. Zwar nicht immer Klasse, dafür aber Masse. Bei der Auswahl waren die Landfrauen nicht zimperlich.
Immerhin: Jeder Kandidat will sich von seiner besten Seite zeigen. »Man muss seinen USP herausarbeiten!«, weiß Walter.
»Was ist ein Ju-ähs-pie?«, will Helmut wissen.
»Hast du das Merkblatt nicht gelesen?«
»Nö.« Helmut hält nichts von Kleingedrucktem. Dafür müsste er ja seine Lesebrille herausholen. Oder sich überhaupt eingestehen, dass er eine braucht.
»Unique Selling Point. Das Alleinstellungsmerkmal. Du musst herausarbeiten, was du Besonderes zu bieten hast, um einen Kaufanreiz zu schaffen.«
Helmut streicht über den feinen Stoff seines Smokings und findet, dass ihm das auch ohne Merkblatt recht gut gelungen ist. Abgesehen von dem Haartönungsdesaster vielleicht. Aber daran möchte er lieber nicht denken. Und auch nicht von Walter daran erinnert werden. Deshalb lenkt er ab: »Und was ist dein USP?«
Walter zieht grinsend einen Fuchsschwanz aus der Tasche und wedelt damit hin und her.
»Verstehe ich nicht«, sagt Helmut. Das ist das Schöne an Männern: Sie können auch mal offen zugeben, dass sie keine Ahnung haben. Zumindest, wenn sie unter sich sind.
»Na, ist doch klar«, erklärt Walter. »Dass ich im Gesicht nicht gerade ein Brad Pitt bin, das weiß ich schon selber.«
»Richard Gere käme vom Alter eher hin«, unterbricht ihn Helmut.
»Sei du mal ganz still, du Johannes Heesters für Arme«, fährt ihn Walter an. »Also: Mein Gesicht ist nicht das, womit ich die Käuferinnen locken kann. Deshalb setze ich voll und ganz auf meinen Körper.«
»Und?«, fragt Helmut.
»Ich werde mich auf der Bühne ausziehen. Ganz professionell. Habe zuhause mit einer DVD geübt.« Muss ja keiner wissen, dass es sich bei der DVD um eine Raubkopie von Ganz oder gar nicht handelt.
»Und was soll der Fuchsschwanz dabei?« Helmut kann sich den Auftritt von Walter noch immer nicht so recht vorstellen.
»Den behalte ich natürlich an. Der verdeckt und betont zugleich meine animalische Männlichkeit. Darauf stehen die Frauen.«
»Na, du musst es ja wissen«, schließt Helmut das Gespräch ab. So viel und so lange hat er noch nie mit Walter an einem Stück geredet. Er will es nicht übertreiben.
»Was willst du denn hier?«, fragt Walter Hans-Heinrich, der sich unauffällig zu den beiden gesellt hat.
»Na, dasselbe wie ihr«, antwortet Hans-Heinrich.
»Aber du bist im Gegensatz zu uns verheiratet. Hast du das vergessen?«
»Nö.«
»Würdest du aber wohl gerne. Das hier ist eine Junggesellenversteigerung.«
»Ich wurde aber gefragt«, sagt Hans-Heinrich und schmollt. Auch nach über zehn Jahren Ehe ist es ihm innerlich noch nicht gelungen, sich von seinem Junggesellenstatus zu verabschieden.
»Na, mal sehen, wie deine Frau das findet«, sagt Walter, der über jeden Konkurrenten weniger froh wäre.
»Die weiß das doch gar nicht«, behauptet Hans-Heinrich.
»Glaubst du«, sagt Walter.
Zitterkalle sagt gar nichts. Er sitzt auf einer Bank an der Seite um ihn herum lauter Jünglinge und solche, die sich dafür halten – und fragt sich, wie er überhaupt hierher geraten ist. Seine Hände zittern, sein Mund ist trocken, das einzige Bier, das man ihm backstage zugestand, hat er schon lange wieder ausgeschwitzt. Sie haben ihn also doch noch gefragt, diese goldbetongelockten Landfrauen ... aber warum? Das ist ihm ein Rätsel. Er hat sich nicht getraut, nachzufragen, sondern einfach zugesagt, so geschmeichelt war er. Dabei ist er, und das weiß er selbst am besten, nicht geschaffen für das organisierte Vergnügen. Er ist ein Einzelkämpfer, ein Outlaw, er würde niemals eine Pauschalreise und schon gar keine Kreuzfahrt mitmachen. Und jetzt das hier!
Zitterkalle hatte
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