Frischluftkur: Roman (German Edition)
ein gutes Gefühl. Sie hat gerne Geld in der Hand. Manchmal bügelt sie ein paar Scheine, nur so zum Vergnügen und weil sie es schön findet, wenn die so glatt sind. Die in der Tasche sind schon ganz knittrig vom vielen Festhalten, aber das stört sie heute ausnahmsweise nicht.
***
Monique betritt die Bühne. Sie trägt ein gigantisches Collier, das aber nicht von ihrem tiefen Ausschnitt abzulenken vermag. Dazu etwas, das aussieht wie zweckentfremdete Christbaumkugeln an den Ohren. Die Haare aufgetürmt wie eine dreistöckige Hochzeitstorte, darauf statt des glücklichen Paares aus Marzipan ein kleines, funkelndes Krönchen. Ihre aufgrund der für sie ungewohnten Konzentration leicht verkrampft wirkenden Gesichtszüge bilden einen schönen Kontrast zum lockeren Leoparden-Sprint des Kleides.
»Was will die denn da?«, fragt Tina.
»Uns ihren guten Geschmack beweisen?«, mutmaßt Petra.
»Eigentlich sollte doch die erste Vorsitzende moderieren«, weiß Hanna.
Was sie nicht wissen: Die erste Vorsitzende hält, betäubt von einer leicht verschärften Eierlikör-Strohrum-Mixtur, ein kleines Schläfchen in einem der Fremdenzimmer des Dorfkrugs. Und da blieb Monique ja gar nichts anderes übrig, als kurzfristig einzuspringen und die Veranstaltung zu retten.
»Und jetzt kommen wir zu – Ähm ... zum Anfang. Fangen wir an mit ... na, dem da, wie heißt er noch?« Während Monique versucht, den sehr klein gedruckten Ablaufzettel zu entziffern, den sie der ersten Vorsitzenden aus der Tasche gezogen hat, wird von hinten ein sich leicht sträubender Endzwanziger auf die Bühne geschoben.
»Ulf! Ulf! Ulf!«, skandiert das Publikum. Monique blickt von ihrem Zettel auf und erkennt den Mann: »Ach ja, Ulf! Meine Damen, das ist Ulf. Und, Ulf, was hast du so zu bieten?«
Ulf zupft an seinem T-Shirt, reibt die Hände an seiner Jeans trocken – vergeblich, der Schweiß wird zu schnell nachproduziert – und starrt auf den Boden, als stünden dort die Lottozahlen für den nächsten Jackpot. Sagen tut er nichts.
Monique liest auf ihrem Zettel nach. »Hier steht, dass du ganz toll Apfelkuchen backen kannst. Stimmt das?«, fragt sie mit einfühlsamer Supernanny-Stimme.
Ulf nickt.
»Ich biete fünf Euro!«, ruft eine Frau im Publikum.
Alle, auch Ulf, sehen diese Frau an. Er bekommt knallrote Ohren und versucht wieder, sich die Lottozahlen auf dem Boden zu merken. »Och nee, Mutti«, stammelt er verlegen.
Aber mit dem ersten Gebot ist die Hemmschwelle der Damen im Publikum gefallen.
»Ich biete sechs Euro!«, ruft eine ältere Dame, deren Hüften man deutlich ansieht, dass sie Kuchen mag.
»Zehn Euro!«, piepst eine kleine Blonde, worauf ihre Freundinnen wie auf Knopfdruck hysterisch kichern.
Ulfs rote Ohren fangen leicht an zu wackeln.
»Der ist doch ganz niedlich. Da wird ja wohl mehr drin sein!«, ruft Monique in ihr Mikrofon und stöckelt zu einem Stehpult, auf dem ein kleiner Holzhammer liegt.
»Fünfzehn!«, ruft Ulfs Mutter. »Ich überlasse meinen Sohn doch nicht irgendwelchen dahergelaufenen Mäuschen!«
Die Blonde und ihre Freundinnen kichern entrüstet und erhöhen auf zwanzig.
»Zwanzig Euro zum Ersten, zwanzig Euro zum Zweiten ...«, ruft Monique und wedelt mit dem Hämmerchen herum.
»Ach, es wird Zeit, dass der Junge mal aus dem Haus kommt«, sagt die Mutter. »Ihr könnt ihn haben!«
»Zwanzig Euro zum Dritten!«, ruft Monique und klopft mit dem Hammer auf das Stehpult. »Ihr könnt ihn euch abholen. Bis morgen Abend steht er euch zur Verfügung. Viel Spaß mit Ulf!«
Ulf lässt sich ohne Widerstand von der Bühne abführen und verbringt den Rest des Abends mit zuckenden roten Ohren zwischen kichernden kleinen Blondinen und fühlt sich dabei erstaunlich wohl, wenn man mal von den beinahe tropfenden Handinnenflächen absieht, die es ihm fast unmöglich machen, ein Glas, geschweige denn eine Bierflasche, zu halten.
Nach dem guten Start geht es rasant weiter. Die Ware geht weg wie die Brötchen aus Knurres Backshop. Die jüngeren Exemplare bringen mehr als die älteren, obwohl es da stark auf den Erhaltungszustand ankommt. Wer besondere Extras vorweisen kann – wie zum Beispiel ein Cabrio –, erzielt mindestens fünfzehn Euro. Das Geld sitzt bei den Landfrauen heute besonders locker. Die Spitzenexemplare – jung, durchtrainiert, guter (aber nicht zu guter) Ruf – bringen bis zu einhundert Euro. Ben geht für die Rekordsumme von einhundertzwanzig Euro an die mittelalte Geschiedene, bei der Kai den
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