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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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gerade überlegt, ob er sich aus Protest auf der Bühne ausziehen sollte, aber da fiel ihm ein, dass er das ja schon mal bei einem Fußballspiel gemacht hat. Und dann hat er gehört, dass Walter genau den gleichen Plan hat. Zitterkalle kopiert niemanden, nicht sich selbst und schon gar nicht diesen Walter.
    Einer der Jugendlichen schiebt sich an ihm vorbei. Zitterkalle erkennt ihn, das ist doch der Ben, der früher immer Frösche am kleinen Teich hinter dem Wäldchen jagen wollte. Inzwischen hat er achtzig Zentimeter Körpergröße zugelegt und offensichtlich andere Hobbys gefunden: Unter der offenen Weste, die er auf nackter Haut trägt, ist ein ausgeprägtes Sixpack mit passenden Brustmuskeln zu sehen. Es scheint fast so, als würden die höhnisch auf ihn herabgrinsen. Schnell senkt Zitterkalle den Blick. Er mag es nicht, wenn Leute sich über ihn lustig machen. Oder Muskeln.
    Mich wird niemand wollen , denkt Zitterkalle und sackt ein wenig in sich zusammen. Aber , sagt er sich, ich habe schon so viele peinliche Situationen überlebt, da werde ich diese auch noch wegstecken.
    ***
    Im Saal steigt der Lärmpegel proportional zur Zahl der bestellten Orgasmen. Nur Wilma ist ganz still. Das ist schließlich kein Spiel, sie ist nicht zum Spaß hier. Dass noch eine Frau das ebenfalls so sieht, ahnt sie nicht.
    »... und wenn ihr bezahlt habt, dürft ihr mit ihm alles machen, was ihr wollt. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang! Alles!« Die Anheizerin auf der Bühne verneigt sich in den tosenden Applaus. Die über dreihundert Frauen im Saal klatschen, pfeifen, trampeln und kreischen, als erwarteten sie einen Gemeinschaftsauftritt von Take That, den Beatles und Julio Iglesias.
    Ihr Verhalten ist so entgrenzt, dass Walter, der kurz durch einen Vorhang in den Saal geluschert hat, überlegt, ob das mit dem Fuchsschwanz wirklich eine so gute Idee ist. Doch er weiß, dass das eine einmalige Gelegenheit ist – wahrscheinlich wirklich die einzige seines Lebens –, sich seinen größten und geheimsten Wunsch zu erfüllen: Er möchte sich einmal wie ein Popstar fühlen. Bejubelt, beklatscht und begehrt werden. Leider beherrscht er nur ein einziges Instrument: Ein mit Butterbrotpapier bespannter Kamm ist wirklich nicht hitparadenverdächtig. Und sein nicht gerade attraktives Gesicht verwehrte ihm eine auf optischen Faktoren basierende Karriere à la Milli Vanilli.
    Die Kandidaten werden zum ersten Defilee auf die Bühne gebeten. Schließlich wollen sich die zahlungsbereiten Damen einen Überblick über das Angebot verschaffen. Und da ist wirklich für jede etwas dabei: Pralle Oberarme, massige Bäuche, glattrasierte Wangen, sorgfältig gegelte Frisuren, Männer in den sogenannten besten Jahren und linkische Jünglinge – vierzigmal das Versprechen der Einzigartigkeit.
    Einmal nur Objekt sein , denkt Helmut, das ist schon angenehm. Plötzlich meint er zu wissen, wie sich Frauen oft fühlen und fragt sich umso mehr, warum die Emanzen das nicht gutheißen. Als ein paar Frauen, angeheizt von einigen Runden Orgasmus, Korn mit Maggi, Schwarze Sau und anderen hochprozentigen Spezialmischungen – alles Cocktails zum Runterkippen – anfangen, »Ausziehen, ausziehen!« zu rufen, zerbröselt dieses angenehme Gefühl jedoch und macht einer diffusen Angst-Scham-Mischung Platz.
    Zitterkalle steht der kalte Schweiß auf der Stirn. Frauen, das war noch nie so seine Welt. Die machen ihm einfach Angst. Aber noch mehr Angst macht ihm, dass ihn keine wollen könnte. Ihn, den unerkannten Superhelden. Er weiß, dass er toll ist, viel toller als alle anderen Männer hier im Saal. Toller als dieser eitle Geck Hans-Heinrich und schöner als dieser Walter. Aber er weiß auch, dass das außer ihm keiner weiß. Und keiner wissen will.
    ***
    »Ich will dieses scharfe Teil mit dem Sixpack und dem knackigen Hintern!«, lässt Tina ihre Freundinnen wissen.
    »Nein, den will ich!«, sagt Hanna.
    Die anderen gucken sie erstaunt an. »Was willst du denn mit dem?«, fragt Tina verwirrt. Mit Konkurrenz aus dieser Richtung hat sie nicht gerechnet.
    Hanna grinst merkwürdig, nichtssagend und vielsagend zugleich: »Der legt seine Unterhosen immer so schön akkurat zusammen.« Schon praktisch, diese ganzen Überwachungsanlagen: Man erfährt zwar nicht unbedingt das, was man wissen will, dafür aber Dinge, die man nie geahnt hätte.
    ***
    Wilma hat eine Hand in ihre Kittelschürze gesteckt, dort umkrallt sie ein Bündel Scheine ganz fest mit den Fingern. Das ist

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