Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
Vom Netzwerk:
der man allzu offen die Meinung sagt.
    Zitterkalle hätte sich nüchtern nie getraut, in Moniques Anwesenheit auch nur den Mund zu öffnen. Doch da er jetzt ja Superheld ist, ruft er ihr beherzt »In Ordnung« zu, startet seinen Trecker, genießt ein paar Sekunden das angenehme Vibrieren im ganzen Körper, legt den Rückwärtsgang ein und rangiert um den Corsa herum zum Ufer. Die Menschenmenge teilt sich, Zitterkalle fühlt sich wie Jesus. Oder Johannes. Moses? Wie hieß der Typ aus der Bibel noch? So ganz sicher ist er sich da nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Viel wichtiger ist das erhabene Gefühl, das ihn durchströmt. Kleine Jungs, die eben noch Steine übers Eis schlittern ließen, treten zur Seite und sehen voller Ehrfurcht zu ihm auf. Das Glitzern der Hoffnung, er möge mit seinem Trecker im Eis einbrechen und auf Nimmerwiedersehen in den finsteren Fluten verschwinden, damit sie sich bei dieser Horrorstory Jahr für Jahr nachts im Zelt des Fußballcamps gruseln können, dieses Glitzern sieht Zitterkalle nicht. Dafür sieht er Wilma am anderen Ufer stehen. Endlich ist sie auch mal da, wenn er allen zeigt, was in ihm steckt.
    »Und los!«, brüllt Hans-Heinrich.
    Der Ideenkreis Junger Landfrauen kreischt: »Go, Kalle, go!« Monique und ihre Hofdamen führen sich auf, als wären sie Cheerleader, schwenken imaginäre Puschel und hüpfen etwas unkoordiniert auf und ab.
    Kalle gibt Gas. Der Trecker schießt aufs Eis.
    »Ahhhh«, raunen die Dorfbewohner.
    Kalle sagt gar nichts. Er muss sich konzentrieren. Das Schalten fällt seinen klammen Händen schwer. Der Trecker schlingert, kommt aber voran. Das Eis knirscht ein wenig.
    »Ohhhh! , machen die Dorfbewohner.
    Kalle und sein Trecker kommen heil am anderen Ufer an.
    »Hurra!«, jubelt das Dorf. Eine ausgelassene Stimmung greift um sich. Wilma hat das Gefühl, irgendjemanden umarmen zu müssen.
    »Und nun wieder zurück!«, brüllt Hans-Heinrich. Er muss das dreimal rufen, bis jemand zuhört. Aber dann stimmen alle ein: »Wieder zurück! Wieder zurück! Hin und zurück!« Die Stimmung kippt. Es ist fast so, als wäre die Menge auf einmal enttäuscht, dass alles so glattgegangen ist. Dafür haben sie nun ihre warmen Stuben verlassen? Die Bügelwäsche ignoriert? Das Video mit den schönsten Fußballspielen des Sohnes unterbrochen? Das soll alles gewesen sein? Oh nein, so leicht lässt sich die angeheizte Meute nicht abspeisen. Schließlich hat man Eintritt bezahlt – ach nein, hat man ja gar nicht, aber trotzdem!
    »Na los!«, ruft Wilma Kalle zu. »Das schaffst du!«
    »Na gut«, antwortet Kalle. Es ist ihm schon immer schwergefallen, einer Frau einen Wunsch abzuschlagen. Er wendet seinen Trecker und bringt sich wieder in Startposition.
    »Diesmal aber gerade rüber«, grölt Helmut.
    Eben ist Zitterkalle eine kleine Kurve gefahren. Er hat sich von den Stellen, an denen das Eis so seltsam dunkel aussieht, ferngehalten. Merkt ja keiner, dachte er. Da hat er sich wohl geirrt. Jetzt denkt er nur noch an den Kasten Bier. Fast zum Greifen nah scheint der zu sein. Wenn er bloß nicht so kalte Hände hätte. Mit diesen Eisfingern wird er noch nicht mal eine Flasche aufbekommen!
    Mit Ach und Krach legt er den Gang rein, lässt die Kupplung flutschen und tritt aufs Gaspedal. Der Trecker macht einen kleinen Satz, als wäre er ein ungestümes Wildpferd. Zitterkalle fühlt sich frei und leicht. Ist ihm doch egal, ob die Landfrauen ihn bei der Junggesellenversteigerung dabeihaben wollen. Er wird ihnen schon zeigen, was ihnen entgeht! Er hält direkt auf die Mitte des Teiches zu. Schaltet hoch. »Wrummmm!«, macht der Trecker.
    Dann erstirbt das Motorengeräusch.
    Einen Moment ist es ganz still.
    »Krrks-krunsch«, macht das Eis und zerbirst unter dem rechten Hinterreifen wie in Zeitlupe.
    »Uhhhhh«, kommt von den Dorfbewohnern, als sich der Trecker langsam nach rechts hinten neigt und droht, in dem größer werdenden Loch zu versinken.
    »Mach den Motor wieder an«, brüllt Helmut. Zitterkalle versucht es, aber seine Hände zittern und haben jegliches Gefühl verloren. Als es ihm endlich gelungen ist, den Schlüssel umzudrehen, schafft er es nicht, in den ersten Gang zu schalten. Er kann sich gerade so eben auf dem Sitz halten.
    »Krek-krek-krek«, knarzt der Treckermotor mit letzter Kraft. Das Geräusch erinnert Kalle an den Ruf des Wachtelkönigs. Im Sommer, als er nach Dienstschluss noch mit seinem treuen Trecker über die Salatfelder von Großgrundbesitzer Montag

Weitere Kostenlose Bücher