Frischluftkur: Roman (German Edition)
nichts. Dann kommt Thomas. Er lässt sich gerne von Kai anhalten.
»Hey, so eine Aktion hier, finde ich gut!«, lobt er. »Habe ich auch schon mal gemacht. Aber für Kröten.«
»Für Geld?«, fragt Kai irritiert. Er mustert sein Gegenüber. Der sieht ziemlich wild aus. Also, exotisch. So würde er nie auf die Straße gehen. Nicht auszudenken, was die Nachbarn sagen würden! Die sehen bei diesem Fremden sicher nur die merkwürdigen Haare und schrägen Klamotten und wissen schon, was sie über ihn zu denken haben. Und weiterzuerzählen.
Aber seine Augen , schießt es Kai durch den Kopf, die bemerkt wahrscheinlich niemand. Schöne Augen. Sanfte Augen.
»Nee, für richtige, echte Kröten. Damit die Tunnel bekommen und nicht alle platt gefahren werden. Die brauchen echte Überlebenschancen«, klärt Thomas ihn auf.
»Und damit du eine echte Überlebenschance hast«, greift Kai das Thema geschickt auf, »würde ich dir dringend zu einem Fahrradhelm raten.« Er hält einen engagierten Vortrag über Knautschzonen, die weder das Fahrrad noch der Kopf haben und skizziert drastisch, was alles passieren kann. Er redet und redet. Und hat dabei doch eigentlich einen ganz anderen Gedanken. Er schickt ein Stoßgebet gen Himmel: Mach, dass der Mann mit den schönen Augen nicht weggeht. Mach, dass er sich für einen dämlichen Schutzhelm interessiert und ich ihn noch ein bisschen ansehen kann!
***
Thomas lauscht gebannt. Der ist wie ich noch vor ein paar Jahren , denkt er. Idealistisch, bedingungslos an die Sache glaubend. In ihm sieht er die Glut lodern, die er in sich selbst fast zu kalter Asche hat werden lassen. Er wollte wieder zu sich selbst finden, deshalb hat er diesen Auftrag hier auf dem Land angenommen. Eine gemächliche Sache, genau das richtige, um mal abzuschalten. Dass er sich als Verwandter einer netten älteren Dame ausgeben muss, findet er zwar merkwürdig, aber was soll's. Viel wichtiger ist ihm, wieder zu sich zu finden. Und das geht auf dem Land angeblich so gut. Weil es hier so friedlich ist und nichts gibt, was einen ablenkt. Nun wird er schon seit zwei Wochen von nichts abgelenkt. Das hat ihn allerdings auch nicht weitergebracht.
Doch jetzt steht dieser Junge vor ihm. Und Thomas fühlt sich, trotz seiner Dreadlocks und seiner Klamotten, wie ein Greis. Älter als die Damen aus dem Landfrauen-Häkelkränzchen, die bei seiner Wirtin ein und aus gehen.
Aber es ist nicht nur die Begeisterung, die der Junge ausstrahlt, oder sein – zugegebenermaßen ausgesprochen ansprechendes – Aussehen, das Thomas hier, auf dieser verlassenen Landstraße, das Gefühl vermittelt, in einen Schwarm Schmetterlinge geraten zu sein. Thomas will diesen Jungen – nein, korrigiert er sich, diesen Mann – kennenlernen. Er möchte ihm nahe kommen, um sich vielleicht endlich nicht länger selbst fern zu sein.
Thomas lässt sich von Kai einen Fahrradhelm aufschwatzen.
»Warte, ich zeige dir, wie man ihn richtig einstellt«, sagt Kai und stellt sich neben Thomas. Der nimmt den Helm und setzt ihn sich auf den Kopf. Passt nicht, stellt er fest, sein Ananas-Zopf ist im Weg.
»Tja ... also ... scheint wohl doch nicht für mich gedacht zu sein«, sagt Thomas etwas unsicher.
***
»Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, flucht Tina vor dem Bildschirm. »Ich habe nicht an seine Haare gedacht!« Sie muss sich eingestehen, dass ihr Plan vielleicht doch nicht ganz ausgereift ist. Dabei sah es doch so gut aus – die Blicke, die sich die beiden Männer zugeworfen haben, sprachen Bände!
Petra und Hanna kleben förmlich vor dem Bildschirm. Marlies macht sich unauffällig Notizen.
***
»Nimm doch einfach das Zopfgummi raus«, sagt Kai.
»Was soll ich?« Thomas ist erstaunt.
»Das Zopfgummi rausnehmen«, sagt Kai. Und dann sprudelt es plötzlich aus ihm heraus: »Was nicht passt, kann man sich passend machen, weißt du? Ist nicht immer einfach, aber es geht, wenn man genau weiß, was man will und sich nicht reinreden lässt. Und ... also ... äh ... das Gummi ist ja nun kein richtiger Hinderungsgrund.«
Thomas zieht mit einem Ruck das Zopfgummi raus und schüttelt seine Haare zurecht.
»So siehst du noch besser aus«, sagt Kai. Im nächsten Moment möchte er sich am liebsten die Zunge abbeißen. Zu oft hat er einem anderen Mann ein unbedachtes Kompliment gemacht und dafür eine rüde Reaktion geerntet.
Aber Thomas lächelt nur und setzt den Helm auf. Kai stellt ihn richtig ein. »Danke«, sagt Thomas. Er würde gerne noch etwas
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