Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
Vom Netzwerk:
Ergebnis findet sie immer erschreckend und die anderen meistens belustigend. Ihr Vater führt im Rahmen von Familienfesten gerne alte Super-8-Filme vor, auf denen sieht man dann, wie Marlies im zarten Alter von drei Jahren beim Versuch, an einer Rose zu schnuppern, ins Beet fällt. Sich mit fünf an einer Praline verschluckt und fast erstickt. Oder wie sie als Siebenjährige im Zoo beim Elefantenreiten fast hinunterfällt. Sich bei dem Versuch, vor der Konfirmation die Kniestrümpfe hochzuziehen, den Kopf blutig stößt. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Marlies befällt schon beim Gedanken, vor eine Kamera gezerrt zu werden, das klamme Gefühl der Scham.
    Im Schützenhaus hält sie sich im Hintergrund. Das ist nicht schwer, denn alle anderen Landfrauen, aufgetakelt wie die Christbäume, drängen sich nach vorne, hin zur kahlköpfigen Produktionsassistentin, die Nummern verteilt und Zettel ausgibt, auf denen man allerlei Angaben machen muss, von der Konfektionsgröße über die Augenfarbe bis hin zu Welche Dialekte beherrschen Sie?.
    »Aber bitte nicht schummeln, vor allem nicht bei den Maßen! Falls Sie für eine kleine Rolle ausgewählt werden und die Kostüme passen nicht, droht Ihnen eine hohe Konventionalstrafe!«, schärft die Produktionsassistentin den Superstars von morgen ein und stürzt damit so manche in eine tiefe Krise. Einige wissen ihre wahre Konfektionsgröße gar nicht, weil bei Redeker alles mit einer kundinnenfreundlichen 38 ausgezeichnet ist. Niemand will Größe 40 oder höher tragen, das weiß Frau Redeker, also sorgt sie dafür, dass ihre Kundinnen sich so schlank fühlen dürfen, wie sie wollen. Sie bringt ihnen einfach das passende Kleidungsstück und, egal, wie groß es sein mag, es steht auf jeden Fall 38 drin. So sind alle glücklich, die Kundinnen, die sich gerne selbst belügen, und Frau Redeker, die mit diesem Trick mehr Umsatz macht als alle anderen Modehäuser im Landkreis.
    Aber wenn nun eine Konventionalstrafe droht? Die Produktionsassistentin gibt Maßbänder aus, die sich die Landfrauen zähneknirschend um die Hüften legen, immer bedacht darauf, dass keine andere das Ergebnis mitbekommt. Ihre festlichen Abendkleider aus Taft und Tüll rascheln, die Strasscolliers funkeln, das Licht bricht sich reizvoll in den Pokalen auf den Regalen. Das alles verleiht dem Saal des Schützenhauses ungeachtet der Jahreszeit eine nahezu weihnachtliche Atmosphäre. Marlies fühlt sich in ihrem einfachen Kleid völlig underdressed. Aber die neuen Dessous helfen ein wenig.
    Ihre Freundinnen sind mit den Fragebögen beschäftigt. »Was soll ich denn bei besondere Talente eintragen?«, fragt Hanna.
    »Wie wäre es mit Putzen?«, schlägt Tina vor.
    »Vielleicht eher so etwas wie Spionage?«, flüstert Petra. »Ich würde doch so gerne mal in einem Agententhriller mitspielen.«
    »Pssst!«, zischt Tina. »Mach das bloß nicht, sonst fliegt unsere ganze Aktion Frischluftkur noch auf. Und außerdem wird hier kein James Bond gedreht, sondern ein Kulturporno.«
    »Du meinst wohl Landfrauenporno«, korrigiert Petra. »Also, ich zieh mich nicht vor der Kamera aus. Höchstens bauchfrei, vielleicht noch ein knapper Rock, aber mehr mache ich nicht.«
    Marlies möchte dazu gerne noch einen Kommentar abgeben und öffnet schon den Mund, schließt ihn dann aber schnell wieder.
    Die Produktionsassistentin lässt inzwischen die baldigen Oscar-Anwärterinnen über eine Reihe Tische, die sie zu einem Laufsteg zusammengestellt hat, flanieren. Die aufgeputzten Landfrauen werfen sich in Pose, als wären sie eine Kreuzung aus Heidi Klum und dem kameraerfahrenen Walross Antje – je nach Figur.
    »Das wird auch wohl kaum jemand von dir verlangen«, behauptet Tina, die allzu gerne ein paar Quadratmeter oder mehr Haut zeigen würde.
    »Aber von dir bestimmt«, stichelt Hanna. Die ungewohnte Konkurrenzsituation tut ihrer Freundschaft nicht gut. Marlies sagt lieber gar nichts und sieht sich unauffällig nach dem Hinterausgang um.
    Die Golden-Globe-Gewinnerinnen in spe sagen inzwischen Sätze wie »Fischers Fritze fischt frische Fische« und »Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid« auf.
    Marlies schleicht sich durch den Notausgang des unterirdischen Schießstandes davon – und kommt mitten auf dem von der Filmcrew nachgebauten Festplatz heraus. Verwundert steht sie genau vor der Raupenbahn.
    ***
    Der Regisseur zwirbelt sich nervös die Haare. Einerseits ist er erleichtert, dass mal nicht so viele

Weitere Kostenlose Bücher