Frischluftkur: Roman (German Edition)
geschickte Kupplerin im Dienste Amors. Die Püschel-Knies des Dorfes. Sie hat auch schon eine Kartei mit potenziellen Vermittlungskandidaten angelegt. Ihre neue Spezialrubrik Externe Neuzugänge macht ihr ein wenig Sorgen. Die wird immer voller, doch über diese Oberflächenentwässerungstypen ist einfach nicht genug herauszukriegen. Die Größe und das Alter kann sie einigermaßen schätzen. Aber welche Hobbys haben sie? Vorlieben, Abneigungen? Nichts. Bislang hat sie nur Fotos, noch nicht mal Namen. Das kommt ihr langsam seltsam vor.
Viel mehr ist über den jungen Mann, der seit ein paar Tagen bei Gunde Helmrichs zu Besuch ist, auch nicht herauszufinden. Angeblich ist er ihr Großneffe. Er interessiert sich sehr für die Natur und hockt oft mit einem Fernglas am Feldrand herum und macht sich Notizen. Ansonsten ist er eher still und unauffällig. Er heißt Thomas, ist Mitte zwanzig und trägt Cargo-Hosen, in deren unzähligen Taschen man den halben Hausstand seiner angeblichen Großtante verstauen könnte, dazu T-Shirts in Farbe und Muster einer Femsehbildstörung. Seine dunklen Haare sind zu Dreadlocks verzwirbelt und nach oben zu einem Zopf gebunden, der seinem Kopf das Aussehen einer Ananas gibt. Der Junge mit den immer ein wenig verträumt schauenden Augen will, so hat Tina erfahren, Wale retten und das Absterben des Great Barrier Reefs in Australien aufhalten. Warum er aber ins Dorf gekommen ist, wo die Walpopulation ähnlich gering ist wie das Vorkommen von Korallenbänken, erfuhr Tina durch Zufall von Gunde Helmrichs, als sie Marlies bei Knurres besuchen wollte: Thomas interessiert sich für das Brutverhalten des Wachtelkönigs, jenes eher unscheinbaren Geflügels, das ums Dorf herum immer wieder gehört wird. Wesentlich ergiebiger als diese Information sind die Erkenntnisse über Thomas' Musikgeschmack: Mit einem alten Walkman hört er abends Kassetten von George Michael und die weitgehend unbekannte Jazzplatte von Nana Mouskouri.
Kurz: Thomas ist genau das, worauf Tina gewartet hat. Endlich ein passender Kandidat für – nein, nicht für Marlies. Die ist in letzter Zeit so selbstbewusst geworden. Und als Tina ihr vor einer Woche einen brandheißen Kandidaten aus ihrer Kartei andiente – selbstständiger Wintergartenmonteur, solide Bausparverträge, romantische Neigungen (bewiesen durch Kuscheltiere auf dem Bett, mit denen er jeden Abend redet), nur ein winzig kleiner Sprachfehler – sagte Marlies doch glatt: »Ach, nöö, danke.« Da kann Tina nichts machen.
Ihr anderes Sorgenkind ist Kai, der schwule Feuerwehrmann. Nicht, dass der Betreffende etwas davon wüsste, dass er ein Sorgenkind ist, Tina ist sehr diskret. Niemand außer ihren Freundinnen weiß von der Kartei und ihren Bemühungen, Ehen oder zumindest eheähnliche Gemeinschaften zu stiften.
Kai hat sie schon unzählige Dates vermittelt, ihn mit den hübschesten, intelligentesten, witzigsten Mädchen des Dorfes zusammentreffen lassen. Kein Erfolg. Sie hat ihn bei Schulmädchen als Nachhilfelehrer eingesetzt, ihn zum Rasenmähen bei einer Geschiedenen geschickt, alle Altersklassen durchprobiert, nichts hat funktioniert. Kai war immer höflich, hat sich immer gut angestellt, die Kundinnen (Tina nennt alle Leute in ihrer Kartei Kunden, im Gespräch mit ihren Freundinnen rutscht ihr aber auch schon mal Patienten raus) waren stets zufrieden, aber es hat niemals gefunkt.
Als sie alles weibliche Pulver ihrer Kartei verschossen hatte, kam sie zu dem Schluss, dass die Regenbogenfahne in Kais Zimmer nicht nur ein dekoratives Element und die T-Shirts mit Aufdrucken wie Nobody knows I'm gay mehr als nur modischer Schnickschnack sind. Tina irritierte dies zunächst. Es erschien ihr seltsam, dass ein Mann einen anderen Mann lieben kann, denn sie vertritt eher die Gegensätze-ziehen-sich-an- Theorie. Und in ihren Augen sind Männer doch im Grunde genommen alle gleich. Letztlich ist aber nicht Kais Orientierung das Problem, sondern die Tatsache, dass die Vermutlich-schwul/lesbisch -Kategorie ihrer Kartei schlecht bestückt ist. Unter lesbisch führt sie bloß Frau Grötke aus dem Landfrauen-Häkelkränzchen, aber auch nur, weil die immer sagt: »Die Männer können mir alle gestohlen bleiben.« Und bei schwul findet man nur Helmut, weil er sich heimlich die Haare färbt, und Paul, ihr eigener Mann, weil sie dem inzwischen alles zutraut. Sie wird ihn natürlich nicht vermitteln und hat ihn eigentlich nur mit aufgenommen, damit diese Rubrik nicht so leer
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