Frischluftkur: Roman (German Edition)
aussieht.
Weil sich in ihrer Kartei also nichts Passendes fand, hat sie es auf gut Glück mit ein paar anderen Jungs von der Feuerwehr versucht. Sie hat zweideutige Notizen verfasst, die sie Kai zuspielte (im Fälschen von Handschriften ist sie inzwischen ein Ass), Viererverabredungen organisiert, bei denen die Mädchen kurzfristig ausgeschaltet wurden (die Dosierung und Verabreichung der K.o.-Tropfen beherrscht sie wie keine Zweite). Doch damit hat sie Kai nur zu unglücklichen, da unerwiderten Schwärmereien verleitet. Diesmal muss also alles richtig laufen.
Um Thomas zu testen, lässt sie die attraktivsten Kandidatinnen aus der Kartei auf ihn los. Selbst Monique und ihrem Hofstaat spielt sie ihn in die aufwendig, aber leider nicht geschmackvoll manikürten Finger ( in Moniques Salon sind gerade Nail-Art-Days). Thomas, der Neuzugang, lässt die ungewohnten Reize, die auf ihn einprasseln, locker abperlen. Er wirkt wie imprägniert.
Für den ultimativen Abschlusstest hat sie Paul zwangsverpflichtet und ihn in einer neuen, hautengen Jeans und einem schmal geschnittenen, dafür weit geöffneten Hemd durch Knurres Kramerlädchen flanieren lassen. (Ihm gegenüber hat sie behauptet, das würde sie total scharf machen.) Marlies wäre vor Schreck fast in die Kühltheke gefallen, als Paul wie ein Dressman auf dem Laufsteg an ihr vorbeistolzierte. Etliche Landfrauen haben sich mehr als interessiert nach ihm umgesehen (die Namen hat Tina natürlich zur weiteren Recherche notiert). Und auch Thomas' Blick wurde von Pauls sportgestähltem Gesäß angezogen.
»Der interessiert sich zwar nicht für Frauen, aber eindeutig nicht nur für Wiesenrallen und Wachtelkönige«, verkündet Tina ihren Freundinnen beim nächsten Treffen.
»Das ist dasselbe«, korrigiert Petra.
»Äh ... wie bitte?«
»Wiesenralle ist nur ein anderer Name für Wachtelkönig. Man kann auch Knarrer oder Schnärz zu ihr sagen.«
»Ich sag da gar nichts zu, die Biester interessieren mich nicht. Ich will, dass Thomas sich in Kai verliebt! Und umgekehrt natürlich auch, sonst bringt das ja nichts.«
Marlies ist erleichtert, dass Tina mit anderen Patienten beschäftigt ist.
»Und wie willst du das machen?«, fragt Hanna skeptisch. »Hast du einen Plan?«
»Natürlich!« Tina grinst zufrieden. »Kai will doch immer Menschen retten.«
»Genau wie ich!«, nickt Hanna.
»Also werde ich ihm die Gelegenheit dazu geben. Und Gefahr ist ein guter Katalysator für romantische Gefühle.«
»An was denkst du?«, fragt Petra skeptisch.
»An eine brennende Scheune, aus der Kai den bewusstlosen Thomas auf seinen starken Armen hinausträgt ...«
»Oh nein, das wirst du nicht tun!«, mahnt Hanna.
»Dann vielleicht ein reißender Fluss, aus dem Kai Thomas rettet, beide fast nackt – oder meinetwegen auch ganz –, Haut an Haut, eng umschlungen ...«
»Wir haben hier nur den Badeteich«, erinnert sie Hanna. »Zitterkalle wäre im Winter zwar fast darin abgesoffen, aber im Sommer ist da noch nie was passiert. Das soll auch so bleiben.«
»Aber wie wäre es mit ...«
Petra schaltet sich ein: »Vielleicht könntest du ihn von wild gewordenen Wachtelkönigen attackieren lassen, wie in dem Film Die Vögel ?«
»Kommt gar nicht in Frage!«, sagt Hanna. »Eine Fahrradpanne ist das Gefährlichste, was ich dir gestatte. Nachher passiert noch was.«
»Gute Idee! Ich denke an gerissene Ketten, verbogene Lenker, Sturzfahrten ohne Bremse ...« Tina malt es sich in ihrem Kopf aus.
»Fahrrad panne , sagte ich«, erinnert Hanna sie. »Nicht Fahrrad unfall . Ein platter Reifen ist okay. Aber nichts, während er fährt.«
»Nur ein platter Reifen?« Tina ist enttäuscht. »Na ja. Besser als nichts. Dann probiere ich es mal damit.«
Tina robbt, mit einem grasgrünen Sommerkleid und ein paar Ästen in den Haaren kunstvoll getarnt, an Thomas' Fahrrad heran, das ein paar Meter von ihm entfernt in einem Graben liegt. Während der Nichtsahnende die Felder vor sich mit dem Fernglas überwacht (Tina hat ihm über Marlies, die sich erst gewunden hat, und Gunde Helmrichs das Gerücht zugespielt, dass hier besonders viele Wachtelkönige anzutreffen sind), sticht sie mit einer spitzen Nadel in den Schlauch des hinteren Reifens, damit die Luft entweichen kann.
Als Thomas ein paar Stunden später vom Feldrand zu seiner Großtante radeln will, entdeckt er den Platten. Er nimmt sein Flickzeug aus der Satteltasche und repariert den Reifen. Genau drei Minuten bevor Kai wie jeden Nachmittag auf
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