Friss oder stirb
die „erste Filialgeneration“, also die erste Generation nach der Kreuzung der Eltern.]
Da die Elternpflanzen aber genetisch so unterschiedlich sind, dass sie in der Natur niemals Nachkommen miteinander haben könnten, kommt es in der F1-Generation zum sogenannten Heterosiseffekt . Die Hybriden haben dann für eine Generation besondere Eigenschaften, wie zum Beispiel hohe Erträge. Daher kommt das Märchen der angeblichen Vitalität von F1-Hybri-den. Sie bringen einfach einen hohen Ertrag. Aber sie sind in keinster Weise besser , als es eine reinerbige Sorte wäre. Das ist biologisch unmöglich – ich sage das als Pflanzengenetiker: Hybriden stammen von degenerierten Inzuchtlinien ab, sie können nicht besser sein als eine samenfeste Varietät. Sie haben Unmengen an schlechten Genen in sich. Würde man versuchen, Samen von F1-Hybriden wieder zu verwenden – zum Beispiel von Kürbissen –, kämen in der nächsten Generation verschiedene unbrauchbare Pflanzen heraus: Solche mit winzigen, bitteren Früchten oder mit riesigen, schwammigen Kürbissen. Wieder andere würden sofort absterben, wenn sie einmal ein bisschen Regen abbekommen. Die biologische Degeneration dieser Hybridlinien wäre sofort sichtbar.
Clemens G. Arvay : Weshalb glauben dann die meisten Produzenten, mit samenfesten Sorten auf dem Markt nicht bestehen zu können, sondern nur mit Hybriden?
Ben Gable : Der Grund, warum Hybriden ertragreicher erscheinen, ist, dass samenfeste Sorten seit Jahrzehnten nicht mehr erhalten und weitergezüchtet werden. Sie wurden vom Markt verdrängt und vernachlässigt. Deswegen engagiere ich mich dafür, den genetischen Schatz der Sortenvielfalt wieder zu aktivieren. Wir brauchen Sorten, die biologisch stabil sind und sich an ihre Standorte anpassen können.
Clemens G. Arvay : Worin liegt die Gefahr von F1-Hybridsaatgut für unsere Lebensmittelsicherheit?
Ben Gable : Ich habe ja schon darüber gesprochen, wie sich die Sortenvielfalt im Laufe der Jahrtausende entwickelte, indem Bauern Jahr für Jahr das Saatgut gewannen und weiterzüchteten – wie sich also unsere Kulturpflanzen in einer Art Evolutionsprozess immer weiter verbesserten und an unsere Bedürfnisse anpassten. Die Hybridtechnologie stoppt diese Entwicklung plötzlich. Jede Hybridpflanze einer bestimmten Linie ist absolut identisch mit jeder anderen aus derselben Linie. Sie sind untereinander alle Klone. Das führt zu zwei Problemen.
Das erste Problem hat etwas mit der Anpassung an den Raum zu tun: Wir verwenden all die genetisch identischen Samen ein und derselben Hybridlinie in verschiedenen Klimazonen und auf verschiedenen Böden in ganz Europa oder auf der gesamten Erde. Diese stets identischen Samen bringen aber nur dann optimale Erträge, wenn sie auch unter identischen Bedingungen angebaut werden. Wir müssen also Unmengen an fossilen Brennstoffen einsetzen, um überall auf der Erde diese Bedingungen für die Pflanzen zu schaffen: Wir verwenden Bodenverbesserer, Düngemittel und bearbeiten den Boden intensiv. Häufig müssen wir Plastikfolien über die Kulturen spannen, um sie warm zu halten und zu schützen. Wir verwenden Pflanzenschutzmittel, seien es nun konventionelle oder solche, die im biologischen Landbau zugelassen sind. Auch Biolandbau kann sehr erdölintensiv und industriell sein. Und wir tun das alles, um für die standardisierten Hybridpflanzen standardisierte Wachstumsbedingungen zu schaffen. Es gibt für Hybridzüchtungen also keine räumliche Variabilität und Anpassung. Das wird noch ein großes Problem werden, wenn uns die fossilen Brennstoffe für diese energieintensive Landwirtschaft eines Tages nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann werden wir Sorten brauchen, die an die Verschiedenartigkeit der Standorte angepasst sind.
Das zweite große Problem mit Hybridsaatgut ist, dass wir die Entwicklung der Pflanzenzucht an einem bestimmten zeitlichen Punkt unterbrochen und eingefroren haben. Wir verwenden jedes Jahr dieselben Inzucht-Elternlinien, um Jahr für Jahr dasselbe, genetisch identische Hybridsaatgut zu produzieren. Manche dieser Zuchtlinien haben sich seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt. Wir haben also nicht nur die Möglichkeit verspielt, unsere Kulturpflanzen an ihre Standorte anzupassen, sondern wir haben auch die Entwicklung der Sorten entlang der Zeitachse gestoppt. Wenn sich das Klima verändert, was sehr wahrscheinlich ist, können sich Hybridpflanzen auch im Laufe der Zeit nicht an die veränderten Bedingungen
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