Friss oder stirb
Wieder einmal werden wir auf die „regelmäßigen Kontrollen“ verwiesen, die alles und nichts bedeuten können. Vergessen wir nicht, dass „regelmäßige Kontrollen“ an jedem Schlachthof stattfinden, und sei es die größte industrielle Tierhölle. Viel wichtiger wäre zu erfahren, welche Anforderungen den Kontrollen zugrunde liegen und ob diese erfüllt werden. An diesem Punkt gibt es nämlich kaum Unterschiede zwischen konventioneller und „Bio-Schlachtung“ für die Lebensmittelindustrie. Die Bio-Tiere werden mit denselben Bolzenschussgeräten oder in denselben Gasanlagen „betäubt“, sie werden in dieselben Fließbandanlagen gehängt und auf dieselbe Weise in den Tod befördert wie konventionelle Tiere auch. Und das alles neben den Augen der „Kontrolleure“, denn die industrielle Schlachtung mit all ihren grausamen Merkmalen widerspricht weder dem Tierschutzgesetz noch den Bio-Richtlinien. Sie ist Alltag in der Lebensmittelindustrie Europas.
Im Rahmen meiner Recherchen sah ich mir unter anderem einen Schlachthof an, in dem für Ja!Natürlich Schweine, Lämmer und Rinder geschlachtet werden [32] . Es handelte sich um einen Betrieb, in dem auch konventionelle Tiere für den REWE-Konzern geschlachtet werden. Was ich dort sah und erlebte, blieb mir in lebhafter Erinnerung: Die Lämmer wurden an ihren Ohren und Extremitäten aus den Lastwagen in den Schlachthof gezerrt, einigen wurden sogar Eisenketten ums Bein festgezogen, an denen sie dann über die raue Betonfläche geschleift wurden. Die Tiere waren sichtbar von Angst erfüllt, die sich in ihren Augen deutlich widerspiegelte. Zusammengepfercht in der Wartebox versuchten sie in Panik übereinander hinweg zu flüchten. Doch es gab keinen Ausweg.
Auch das Sterben der Tiere – auf dem Fließband kopfüber am Haken hängend – stellte sich in der Realität gänzlich anders dar, als es von Ja!Natürlich in der zitierten Stellungnahme auf Facebook suggeriert wird. Ein Tierarzt war tatsächlich anwesend, da haben die PR-Mitarbeiter von REWE schon recht. Dieser aber hatte alle Hände voll zu tun, in Akkordarbeit die Fleischbeschau nach der Schlachtung durchzuführen – also an den bereits toten und ausgenommenen Tieren. Er stand unter Zeitdruck, alles ging ruck, zuck. Die Fleischbeschau dient der hygienischen Sicherheit und dem Verbraucherschutz. Der Tierarzt konnte sich um den Umgang mit den Tieren gar nicht kümmern, da ihm unter solchen Arbeitsbedingungen die Zeit dazu fehlte. Dass die Tiere an Eisenketten hereingezerrt wurden, bemerkte er nicht einmal, denn diese schrecklichen Szenen spielten sich in einem ganz anderen Bereich des Schlachthofes ab. Und dabei handelte es sich bei diesem Betrieb noch um einen verhältnismäßig „kleinen“.
Auch waren die Bio-Tiere in Tiertransportern gemeinsam mit konventionellen aus mehreren Bundesländern herangekarrt worden und das Verladen sowie der Transport entzogen sich selbstverständlich ebenfalls der Kontrollkapazität des Tierarztes.
Meine Erfahrungen mit der Hühnerschlachtung für Ja!Natürlich und andere Bio-Handelsmarken waren nicht minder erschreckend: Verladen der Hühner bei den Vertragsmästern aus Stalleinheiten zu jeweils 4.800 Tieren; Tiertransport zu zentralen Schlachthöfen; containerweises Abladen der Tiere mit Hubstaplern; Abkippen der Hühner auf breite Förderbänder wie Kartoffeln; automatische Betäubung mit Strom oder Erstickung in einer CO2-Gasanlage. Dabei wurden sie zuerst einer geringen Gaskonzentration ausgesetzt, die zu Atemnot und panikartigen Fluchtversuchen führte und gleichzeitig auf die darauf folgende, die eigentliche Betäubung bei höherer Konzentration vorbereitete. Schließlich wurden die Vögel von Akkordarbeitern aus Osteuropa und Afrika, die unter Bedingungen arbeiten mussten, welche mir als menschenunwürdig erschienen, in das Schlachtkarussell eingehängt, auf dem Fließband von einem rotierenden Messer im Takt von etwa drei Tieren pro Sekunde geschlachtet und dann vollautomatisch weiterverarbeitet, bis sie feinsäuberlich und plastikverschweißt am anderen Ende der Fabrik wieder herauskamen.
Auch betreffend die Schlachtung muss unbedingt festgehalten werden, dass die industriellen Methoden nicht nur bei Ja!Natürlich oder etwa nur in Österreich vorherrschen, sondern bei allen Bio-Fleischprodukten der Lebensmittelindustrie in ganz Europa vorfindbar sind.
Das Rätsel der „biologischen Ursprungsgarantie“
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