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Friss oder stirb

Friss oder stirb

Titel: Friss oder stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G. Arvay
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bei höheren Flächenerträgen weniger fossile Brennstoffe zu schlucken als die Industrie. Sie fördert die Vielfältigkeit und den ästhetischen Wert der Landschaft sowie ihren Erholungsnutzen, bringt in vielen Fällen ein Mehr an Landschaftselementen mit sich, wie Hecken und Baumstreifen, Streuobstwiesen, Mischkulturanlagen, Trockensteinmauern und Feuchtbiotope, was wiederum die Biodiversität, also die biologische Artenvielfalt fördert, indem Lebensräume und Nischen für Tiere und Pflanzen geschaffen werden. Kleinstrukturierte Agrarflächen weisen, da die Flächen in höherem Maße „zerteilt“ sind als bei großstrukturierter Wirtschaftsweise, stets mehr solcher Ökobrücken auf, an denen sich Tiere entlang bewegen, brüten oder nisten.
    Dezentral zu wirtschaften bedeutet aber auch, die Art und Weise der Betriebsführung als Bauer und Produzent weitaus autonomer bestimmen zu können als unter Vertrag mit großen Handelskonzernen oder der Lebensmittelindustrie. Es kann sich eine Vielfalt an Betriebsformen und Produktkategorien entwickeln, während sich ein Phänomen einstellen würde, das seit Jahrzehnten aufgrund des Zwangs zur Massen- und Einheitsproduktion zurückgedrängt wird: die „ Hofindividualität “. Landwirtschaftliche Betriebe, die weniger stark in ein zentralistisches Vermarktungssystem eingebunden sind, an dessen Spitze die Lebensmittelkonzerne stehen, haben eher das Potenzial, ihre Höfe nach ihren eigenen Vorstellungen und Idealen sowie gemäß den Wünschen ihrer Kunden zu führen. Sie können gewissermaßen ihre „Handschrift“ umsetzen, sich entfalten und verwirklichen, indem sie ihrem jeweils eigenen Hof einen unverwechselbaren Charakter – eben die Hofindividualität – verleihen.
    Nur in dezentralen, kleinteiligen Produktions- und Vermarktungssystemen wird der Erhalt biokultureller Vielfalt möglich, zu der auch der enorme genetische Schatz an alten, samenfesten Pflanzensorten und reinerbigen, vom Markt verdrängten Tierrassen zählt. [ Abb. 26 ]
    Als ich gegen Ende September 2012 im „Hus op’n Diek“ im Cuxhavener Schiffshafen zu Mittag aß, lief im Radio ein Beitrag über den Kehdinger Appelhoff , der bei Drochtersen, nicht weit von Cuxhaven, direkt an der Elbe liegt. „Appelhoff“ ist ein niederdeutscher Begriff für „Obstgarten“. In diesem Betrieb setzt man sich engagiert für den Erhalt alter, in Vergessenheit geratener Obstsorten ein, wobei der Schwerpunkt auf Äpfeln und Birnen liegt. Es war wie ein Wink des Schicksals, wohl durch Zufall zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und diesen Radiobericht zu hören. „Nichts wie hin“, dachte ich mir und griff sofort zu meinem Telefon, um zunächst den Radiosender anzurufen und Näheres über die Kontaktmöglichkeiten zum Kehdinger Appelhoff in Erfahrung zu bringen. Das eine führte zum anderen und das andere führte mich nach Drochtersen, und zwar schon am nächsten Tag.
    Als ich am Ufer der Elbe angekommen war, hatte sich der Nieselregen gelegt und der Nebel war etwas dünner geworden. Die drei Herren Dieter Meyer, Klaus-Peter Nagl und Georg von Borstel standen neben ihrem Pick-up am Rande der Streuobstanlage und bereiteten den Wagen, der zum Überlaufen mit Äpfeln beladen war, zur Abfahrt vor. Ihre Körper waren in breite, weiße Pflücktücher gewickelt. Die Obsternte erfolgt hier von Hand. [ Abb. 27 ]
    „Das, was in der Vergangenheit gang und gäbe war – Hochstammbäume im Bereich Apfel, Kirsche, Pflaume, Birne etc. –, ist heute im kommerziellen Obstbau nicht mehr anzutreffen“, eröffnete Dieter Meyer unser Gespräch „unter acht Augen“. Dann fuhr er fort: „Diese Obstsorten sind der älteren Bevölkerungsschicht gut bekannt, würden aber endgültig verloren gehen, wenn man sich nicht um sie kümmert. Deswegen bewirtschaften wir unsere Streuobstwiese mit alten Sorten auf Hochstammbäumen. Die Anlage ist etwa zwei Hektar groß und wir haben 180 Bäume von rund 110 verschiedenen Sorten, der Großteil davon sind Apfelsorten.“

    Georg von Borstel : Wir kultivieren in erster Linie regionale Sorten. Der Rheinländer Pfannkuchen zum Beispiel ist ein sehr spät reifender Apfel, schmeckt säuerlich, hält sich sehr gut und eignet sich besonders zum Kochen. Auf Kuchen schmeckt er exzellent, man kann ihn aber auch roh verzehren. Ein früh reifender Speiseapfel, den wir hier anbauen, ist der Gelbe Richard , der auch als Großer Richard bekannt ist. Dieser Apfel ist sehr süß, mit dezent säuerlicher Note,

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