Friss oder stirb
Lebensgrundlage haben. In den selben Ländern werden Futtermittel für die Fleischproduktion der Industriestaaten angebaut – auch für Fast Food, „Junk Food“ und für völlig unnötige Luxusprodukte und sogar oft für Bio-Produkte.
90 Prozent der Sojaerträge Lateinamerikas gehen in die Tiermast der Industrieländer, während die ansässige Bevölkerung von der reichen Ernte nichts erhält.
Ich wiederhole mich: Mit den derzeit weltweit verfügbaren Ackerflächen könnten zwölf Milliarden Menschen ernährt werden, also fast das Doppelte der derzeitigen Weltbevölkerung! Ein Hektar Land ernährt bei pflanzlicher Produktion 30 Menschen. Über die Fleischindustrie können pro Hektar nur sechs bis acht Menschen ernährt werden [47] . Dennoch steigt der Fleischkonsum in Europa jährlich an und auch der Junk-Food-Markt mit Fleischprodukten wächst. Von einer Bedarfsproduktion kann hierzulande keine Rede mehr sein. Die Spirale dreht sich immer weiter, die Kluft zwischen Arm und Reich – zwischen Nord und Süd – wird immer größer.
Im Zentrum steht die Frage: Wie gehen wir mit einer Industrie um, die der nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung des Ernährungssystems gegenübersteht? Mit einer Branche, die nicht Landwirtschaft betreibt und Lebensmittel herstellt, um den Ernährungsbedarf der Menschheit zu decken, sondern ausschließlich zum Zwecke der Profitmaximierung?
Angesichts der dramatischen globalen Situation, auch der Verteilungssituation, erscheint es nötig, die Lebensmittelindustrie in ihrer derzeitigen Form zu überwinden und das Lebensmittelsystem nachhaltig und grundlegend zu reformieren. Der (Wieder-)Aufbau dezentraler, kleinstrukturierter Produktions- und Verteilungssysteme ist ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung.
Peter Segger von der walisischen Bleancamel Farm bedauerte den sozialen, kulturellen und landschaftlichen Abbau ruraler, also ländlicher Regionen. Diese negative Entwicklung kann durch die Stärkung der kleinstrukturierten bäuerlichen Landwirtschaft wieder rückgängig gemacht werden. Klein- und Mittelbetriebe würden sich vom Zwang des Wachsens oder Weichens, der von der Industrie ausgeht, erholen. Die Anzahl der Bauern würde wieder steigen, sodass erstens weniger Menschen unfreiwillig aus der Landwirtschaft aussteigen müssten und zweitens die Anreize wieder mehr würden, neu in die Landwirtschaft einzusteigen – so wie Jean-Philippe Genetier aus Frankreich.
Viele würden unter besseren Bedingungen und wenn sie eine Chance auf wirtschaftlichen Bestand sehen würden, eine landwirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen. Ich selbst gehöre zu diesen Menschen. Und ich kenne auch die Schwierigkeiten, die sich angehenden Bauern in den Weg stellen. Das beginnt schon beim Zugang zu Land: Als ich in „mein“ Dorf im Südosten Österreichs zog und mich sogleich auf die Suche nach landwirtschaftlichen Flächen machte, stieß ich bei den Landwirten der Region zunächst auf taube Ohren. Niemand wollte mir auch nur einen Hektar verpachten. Wo immer ich anfragte, erhielt ich ähnliche Antworten: „Wir würden eher größer werden. Abtreten können wir nichts.“ Oder: „In Zeiten wie diesen hat man nie genug Land. Alles geht über Größe und Menge, Sie wissen ja, wie das ist. Es tut mir leid.“ Solche und ähnliche Antworten erhielt ich sogar von den größten Bio-Bauern unserer Region, die 500 bis 600 Hektar bewirtschaften. Das sind fünf bis sechs Quadratkilometer.
Es gibt unzählige willige Menschen, die entweder gerne in die Landwirtschaft einsteigen würden oder – auch das ist häufig der Fall – alles dafür geben würden, ihre Landwirtschaft nicht auflassen zu müssen. Doch durch die Industrialisierung und den von den Handelskonzernen ausgehenden Wachstumsdruck ist nur mehr Platz für die ganz Großen anstatt für viele Kleine und Mittlere. Diese Entwicklung wird von der Industrie beschönigend als „ Strukturbereinigung “ bezeichnet, obwohl es nichts anderes als das Bauernsterben ist – die systematische Vernichtung der Klein- und Mittelbetriebe in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion unter dem Zwang des Wachsens oder Weichens.
Kleinstrukturierte Betriebe könnten auf derselben Fläche mehr Menschen beschäftigen und würden dabei Arbeitsplätze schaffen, die im Gegensatz zu jenen in der Industrie zumutbar und menschenwürdig wären, ja vielleicht sogar Freude schaffen würden. Gleichzeitig hat die kleinteilige, bäuerliche Landwirtschaft das Potenzial,
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