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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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egal. Ich habe in über 30 Verfahren gegen sie gewonnen. Kein einziger Flüchtling, der klagte, wurde aufgrund der Atteste von Frau Klein abgeschoben. Sie war durch und durch inkompetent. Und das Schlimmste: Sie hat alle Daten und Fakten der Kranken an die Kripo weitergegeben. Obwohl diese sie auf ihre Schweigepflicht aufmerksam gemacht hatte.«
    Er schwieg wieder und schaute mich an. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er seine spitze Mäusenase.
    »Wer will Ihnen Böses?«, fragte er. »Wie verfällt diese Rothaarige ausgerechnet auf Sie?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn. Was will da der BND? Ein toter Killer taucht auf! Grotesk! Ein Priester stolpert in Ihrem Leben herum! Eine Hochzeit im Fort Hackeringen! Kennen Sie das Fort?«
    Ich zuckte wieder mit den Schultern. Was sollte ich sagen? Der Richter ereiferte sich. »Eine Riesenbunkeranlage bei Metz in Lothringen. Kenne ich. Gigantisch. Aus dem Zweiten Weltkrieg. Von den Franzosen gebaut. Aber ich überlege. Ich sage Ihnen etwas. Dürfte ich als Richter gar nicht sagen. Das ganze Gequatsche über Integration, alles Heuchelei. Der Senat hat vielfach schwer gegen das Gesetz verstoßen. Ich wundere mich, dass die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. Es gab Anzeigen. Aber die Ermittlungen wurden eingestellt. Wir haben in Berlin einen rechtsfreien Raum. Zumindest, was Flüchtlinge betrifft. Die Spitze will das. Das erfüllt mich mit großer Besorgnis. Schauen Sie sich mal die neuen Gesetze zur Terrorismusbekämpfung für die
    nächsten fünf Jahre an! Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes wussten, weshalb sie Polizei und Geheimdienste strikt voneinander trennten. Diese Trennung wird aufgehoben! In welcher Vergangenheit landen wir da? Da ist praktisch jeder einzelne Bürger verdächtig, wenn die wollen, dass er verdächtig ist. Ganz egal, weswegen.« Er schaute auf seine Uhr. »Mein Gott! Ich muss los. Ganz kurz noch. Die Klein hatte ja eine Macke. Sie forderte immer das chirurgisch präzise Folterinstrument. Ein kurzer, äußerst schmerzhafter Eingriff, das Geständnis, dann sofort die Droge, die alles vergessen macht. Kein Trauma, nichts. Ganze Fußballstadien könnten durchgefoltert werden. Mund auf, Pille schlucken. Nur glückliche Gefolterte. Glücklich wie Ökoschweine im Freigehege. Die Debatte über Folter, die klammheimliche und auch offene Zustimmung in unserem Land entsetzt mich. Ein Professor darf sich in einer Talkshow für Folter aussprechen! Ein ehemaliger Spitzenpolitiker ebenso! Eine breite öffentliche Diskussion kam nicht in die Gänge! Deutsche Agenten des BND verhören Gefolterte. In Kabul, in Guantánamo, in Ägypten. Mit Wissen und Duldung der deutschen Regierung werden Unschuldige verschleppt. Mich würde nichts überraschen.« Er erhob sich. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Herr Neuhaus. Leider kann ich Ihnen nicht helfen. Erzählen Sie mir alles, wenn Sie es hinter sich haben. Sie schaffen das. Ich stehe immer zu Ihrer Verfügung.«
    Mit diesen Worten schritt ein deutscher Richter wie ein aufrechter Mäuserich kampfbereit wider die Rattenplage den Gang hinunter, um bestimmt gleich ein sehr, sehr weises Urteil zu fällen. Ich blieb noch ein Weilchen auf der Bank sitzen. Weshalb konnte der Richter nicht mit mir nach Saarbrücken kommen? Ich war schrecklich alleine, als ich mich endlich erhob und durch die kühlen, dunklen Gänge des Amtsgerichts, vorbei an den vielen dunklen Eichentüren, hinter denen pausenlos Recht gesprochen wurde, hinaus auf die Straße trottete. Es war die Leonhardtstraße. Mir stand noch das Treffen mit der Ärztin Vogelweide abends bevor. Große Lust darauf
    hatte ich keine. Martha Klein wurde zum Albtraum. Mir reichte, was ich über sie wusste. Die Ärztin würde mir nicht viel Neues berichten können. Noch weniger Lust hatte ich auf Saarbrücken. Ich versuchte, mir meine Mutter vorzustellen. Wie sie wohl nach 30 Jahren aussehen würde? Sie steckte in mir wie fremde Krallen, die ich nicht rausziehen konnte. Abgekapselt und in Beton eingegossen. Gesteinsablagerungen aus Urzeiten, die ans Tageslicht gekommen waren. Große Teile meines Brustkorbes würden mitgerissen. Darunter liegende Innereien, Teile der Lunge, der Leber, der Milz würden zerfetzt, wenn ich einen Haken an den Krallen fände, um den ich die Schlinge des Seiles legte. Ein endgültiger, letzter Ruck! Die Krallen aus der Brust ziehen! Befreit! Mir war zum Kotzen zumute.
    Ich hätte gerne noch vom Richter gewusst, was

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