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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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alles ihn nicht überraschen würde. »Mich würde nichts überraschen«, hatte er gesagt. Mir reichten die Überraschungen der letzten Tage. Die Brutalität der Ereignisse. Ich stand immer noch vor dem Amtsgericht und grübelte. Ich hatte noch etwas Zeit und ging nach Hause. Bei Claus stand Kundschaft. Da hatte er zu tun und keine Zeit für ein Gläschen. Also stieg ich die Treppen hoch. Ich schaltete den Fernseher an. Es liefen gerade in N24 die Nachrichten. Im Saarland bei Schlabbach hatte es einen mysteriösen Todesfall gegeben. Ein Arzt aus Saarbrücken war tot neben seinem Auto in einem Waldstück aufgefunden worden. Ein Radfahrer hatte ihn entdeckt. Dann kam das Wetter. Das Hoch Bruno sollte Deutschland die ganzen nächsten Tage Sommer pur bescheren. Hitzerekorde wurden erwartet. Ich stellte den Wecker auf 7.30 Uhr, legte mich auf das Bett, wickelte mir trotz der Hitze die Bettdecke um den Kopf und die Schultern und klemmte mir das Kopfkissen zwischen die Beine. Leiser Wind fächelte über mich durch die offene Balkontüre. Mit der Decke um den Kopf gewickelt siehst du aus wie ein Höhlenmensch, hatte mir mal eine Nachtgefährtin gesagt. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Aber da war ich auch schon eingeschlafen.

11
    Ich wusste mein Leben lang, dass sich zwischen mich und die Welt hauchzarte, kaum sichtbare, aber äußerst robuste Membranen spannten, die nie zerreißen würden. Diese Membranen hatten kein Ende. Sie spannten sich über alle Horizonte hinweg. Sie waren die Grenze zur Welt, die jenseits der Membranen lag. Wenn ich lief, liefen sie einfach mit. Insofern behinderten sie mich nicht. Aber ich konnte sie nicht durchdringen. Sie trennten mich von allen und allem. Ich war mir nicht sicher, ob irgendjemand außer mir diese Membranen sah. Ich glaube, eher nicht. Jedenfalls hatte mich bis jetzt nie jemand darauf angesprochen. Einer hätte es doch eines Tages getan, wenn er sie gesehen hätte. »Was ist das für ein Gespinst zwischen uns?«, hätte er gefragt, oder etwas Ähnliches. Ich wäre wahrscheinlich furchtbar verlegen geworden. Was hätte ich antworten sollen? Gleichzeitig hätte ich mich über die Frage gefreut. Sie hätte mir das Gefühl gegeben, dass ein Mensch mich wahrgenommen hatte. So fühlte ich mich fast immer nicht wahrgenommen. Ich selbst sah die Membranen immer nur kurz vor dem Aufwachen. In dieser kurzen Zeitspanne zwischen noch schlafen und schon wach sein. Für mich war das immer die Zeit der Hellsichtigkeit und Gedankenblitze. Und der Membranen. Sobald ich die Augen öffnete, waren sie nicht mehr sichtbar. Aber ich wusste, dass sie sich zwischen mich und die Welt spannten. Unsichtbar nun. Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. Lange Zeit war ich durch sie verunsichert. Wo ist die Wirklichkeit?, grübelte ich. Davor oder dahinter? Aber in welcher Wirklichkeit bin ich, wenn die wirkliche Wirklichkeit dahinter liegt? Ist die Welt, auf die ich durch die Membranen hindurchschaue, die wirkliche Welt, oder bin ich ganz alleine? Aber wenn ich ganz alleine die wirkliche Welt bin, was für eine Welt ist das, auf die ich blicke? Ich wurde manchmal ganz konfus. Und enorm aggressiv. Obwohl die Membranen, sobald ich die Augen öffnete, ja verschwunden waren. Ich wollte sie zerreißen. Sie zerfetzen. Aussichtslos. Das steigerte meine Wut, die ein verspießerter Wohlstandsschickimicki in einer Bar am Tresen ganz unschuldig ausgelöst hatte und um die Backen abbekam. Oder ein tranfunzeliger, schikanöser Polizist. Irgendein Arschloch halt, das gerade zur Verfügung stand. Es gab immer einen Anlass, das bekam ich immer hingebogen, einem Wildfremden mit Grund in die Fresse zu hauen. Abgesehen davon, dass ich es gerne machte. Aber in Wahrheit war es die Wut auf die Membranen. Ich hatte mich an sie gewöhnt wie ein Buckliger an seinen Buckel, der hin und wieder vulkanartig explodierte. Ich stellte mir gerade meinen explodierenden, Feuer und Lava spuckenden Buckel auf der Polizeiwache vor, als der Wecker des Handys läutete. Ich öffnete die Augen. Die Membranen samt Buckel waren weg und ich in meinem Schlafzimmer. Eine Amsel zwitscherte. Du hast ja einen Knall, sagte ich zu mir, den Membranenknall. Du bist ein primitiver Brutalinski, Mann! Draußen schien die Sonne, trotz des vorgerückten Abends. Ich würde ins ›Dollinger‹ gehen, bestimmt eine wunderschöne Ärztin treffen, um mit ihr einen kühlen Grauburgunder zu trinken. Ich ging ins Badezimmer und wusch

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