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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Saarbrücken?«
    Ich schreckte auf.
    »Nein. Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, wo es liegt.«
    Ich hatte keine Lust, Fragen zu beantworten.
    »Wir sollten zuerst nach Schlabbach zur Praxis fahren. Vielleicht erfahren wir da etwas.«
    Ich war noch nicht auf Saarbrücken vorbereitet. Auf die Katholisch-Kirch-Straße am allerwenigsten.
    Die im Minirock kreischte schon wieder. Ihr Begleiter hatte ihr einen Eiswürfel unter den Tanga geschoben.
    »Jetzt bist du frigide«, wieherte er.
    Sie quiekte und versuchte den Eiswürfel zu entfernen. Alle schauten zu und fanden es sehr komisch.
    »Da, da«, kreischte eine Frau.
    Der Rest des Eiswürfels war auf den Boden gefallen und zerschmolz zu einer kleinen Pfütze. Wir erhoben uns und verließen die Raststätte. Bald waren wir auf der Saarbrücker Stadtautobahn, die, die Saar entlang, mitten durch die Stadt führte. Am Stadtbild hatte sich, soweit ich das nach über 30 Jahren beurteilen konnte, nichts geändert. Dem barocken Schloss links der Saar hatte man eine futuristische Glashaube aufgesetzt und das Staatstheater, ein Geschenk Hitlers an die Saar nach der Rückkehr des Saarlandes zum Reich, war hässlich wie eh und je. Die alten, schönen Bäume auf den Saarwiesen standen noch. Die Silhouette der hügeligen Stadt stach scharf und deutlich ab vom stahlblauen Sommerhimmel. Ich starrte darauf wie auf einen Scherenschnitt, dem der eingrenzende Rahmen fehlte.
    »Fahren Sie hier raus«, rief ich.
    Sie schaffte es gerade noch. Ich dirigierte sie bis zum Ludwigsplatz.
    »Halten Sie hier.«
    Sie hielt und schaute mich fragend an.
    »Kommen Sie.«
    Wir stiegen aus. Wir hatten gegenüber der alten Kunstschule angehalten, direkt am Ludwigsplatz, der umsäumt ist von prachtvollen barocken Patrizierhäusern und prächtigen, alten Platanen. Mitten auf dem großen, gepflasterten Platz steht die barocke Ludwigskirche. Es war Markttag. Die Markisen der Stände leuchteten bunt und standen im Farbenwettstreit mit den Bergen von Äpfeln, Kirschen, Pflaumen und Kisten voller Gemüse. Die Händlerinnen priesen mit lauter Stimme ihre Waren an. Wir setzten uns unter die Platanen vom Gasthaus › Zum Feuchten Ludwig ‹ .
    »Ich möchte einen Milchkaffee.«
    Hier hatte ich oft gesessen. Auf der anderen Seite von der Saar. Weit genug weg von zu Hause. Hierher kam so schnell niemand. Sie nahm auch einen Milchkaffee. Ich zahlte.
    »Kommen Sie.«
    Ich stand auf. Wir schlenderten über den Platz zur Ludwigskirche. Wir betraten sie. Eine protestantische Barockkirche von kühler Schönheit. Auch hier saß ich oft. Hier gab es keinen Beichtstuhl und keinen Priester, der sich ins Schlüsselloch drängte. Dieser Kirchenraum war gefüllt mit Klarheit. Sie beruhigte. Wir setzten uns. Über uns hörte ich ein heftiges Wispern. Dann setzten Orgeltöne ein und brachen wieder ab.
    »Nein, nein!«, wisperte es.
    Es war ein Orgellehrer mit seinem Schüler.
    »Noch mal!«
    Wieder spielte die Orgel.
    »Kommen Sie.«
    Wir verließen die Kirche, die von der Orgel machtvoll durchflutet wurde. Bei Orgelmusik fing ich nach wenigen Minuten an zu heulen wie ein Hund bei Vollmond. Es zerriss mir das Herz. Ich war machtlos dagegen. Am Bodensee gab es ein Orgelkonzert. Eine alte Freundin sang dazu. Ich saß in der ersten Reihe und weinte derart, dass schließlich auch sie weinen musste. Weinend sang sie die schönsten Arien. In den kurzen Pausen schniefte sie. Alle weinten schließlich.
    »Ich habe selten so schön geweint«, sagte ein alter Herr.
    »Du hast noch nie geweint«, sagte eine ältere Frau. »Du hast doch staubtrockene Augen. Wie eine Schildkröte«, lachte sie geckernd.
    Wir bestiegen das Auto und fuhren nach Schlabbach, das im Warndt lag, eine hügelige Waldlandschaft nahe der französischen Grenze. Es war eine alte Grubenregion. Fördertürme und spitze Schlackehalden tauchten ganz plötzlich zwischen den Buchenbäumen auf. Wir sprachen bis dahin kein Wort. In Schlabbach hielten wir am Marktplatz.
    »Dafür, dass Sie nie in Saarbrücken waren, haben Sie eine erstaunliche Ortskenntnis.«
    Sie stieg aus.
    Direkt am Markt befindet sich die Polizeiwache. Wir steuerten darauf zu.
    Hinter dem Polizeitresen war niemand. Die Wache schien ausgestorben. Dann kam aus einem Zimmer ein junger, etwas dicklicher Polizist. Er zog eine Schublade auf und entnahm ihr ein Formular, das er in eine altersschwache Schreibmaschine spannte.
    »Moment«, sagte er und verließ den Raum. Er kam sofort zurück und begann zu tippen.

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