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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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in Gang zu setzen. Das hätte ich nicht tun sollen. Ich löste mit dem Kopfschütteln eine rasante Entwicklung aus, die ich bald nicht mehr überblickte, die mich überrollte, wegriss und ins dräuende Blau des Rittersporns katapultierte, vorbei an den Hummeln, die anschwollen zu Rieseninsekten mit gewaltigen Rüsseln, zu Tankflugzeugen mit aderartigen Tankschläuchen, die sich jeden Moment in mich zu bohren drohten, die mich anstachen, die ihre Tanklast in mich schütteten, dass ich aufquoll. Schmetterlingsflügel, gezeichnet mit Totenköpfen, grinsten mich an. Jetzt war es soweit, jetzt war es soweit, die Geierkrallen in meiner Schulter krallten sich tiefer und tiefer in mich, die Tasse als Riesenfass, aus dem Lava quoll, ein gewaltiger Haken der Tassenhenkel, an den ich mich klammerte.
    »Jetzt sagen Sie, jetzt sagen Sie«, bedrängte mich Barbara. »Sie können sich öffnen.« Sie schwebte übermächtig, riesig über dem Marktplatz, ich drohte zu ertrinken in Geysiren, die in steilen Fontänen in die Luft zischten, die mich in die Luft hoben, mich auf ihrer Spitze balancierten, wie ein Artist einen riesigen Globus auf der Fingerspitze im Zirkus, mich in Drehung versetzten, rasend und immer rasender – gleich würde mir der Haken an die Brust gelegt, alles würde weggesprengt, weggerissen, alles käme zum Vorschein, das innerste Geheimnis der kleinsten Zelle. »Gestehen Sie!« Was? Was? Gestehen? Was? Über all dem schwebte ich selber, mit einem irren, nicht enden wollenden Gelächter, nichts wollte ich gestehen, niemals! Das wäre das Ende!
    »Sie kennen sich gut aus in Saarbrücken, dafür, dass Sie zum ersten Mal hier sind«, schrie Barbara und schüttelte mich, bis ich mich auflöste, abstürzte, ins dräuende Blau, das flammengleich über mir zusammenschlug, erstarrte, fest wurde, mich umschloss, eine feste, dräuend blaue Hülle, durchsichtig, Barbara schaute durch die Hülle, der ganze Markt starrte mich an, mit Insektenaugen, mit saugenden Rüsseln, Schmetterlingsgesichtern mit Totenköpfen, alles lautlos, völlige Stille. Schneewittchen im dräuend blauen Glassarg, dachte ich, wie das? Wieso Schneewittchen? Ich? Ich hatte nichts gesagt, nichts, da konnten sie reißen an meiner Brust, mit einem Riesenhaken, mir konnten sie nichts entreißen, oder doch? Oder doch? Nichts gesagt, war ich mir gewiss. Ich ruhte in mir, als wäre ich mein Grab. Über mir unendlich grüner Gletscher. Die Gletscherzunge unendlich weit entfernt. Die mich nie ausspuckte. Welche Beruhigung!
    Nichts mehr würde passieren. Ich war auf der sicheren Seite. Für immer.

13
    »Ich glaube, er kommt zu sich.«
    Ich wollte nicht zu mir kommen. Ich hatte mich wunderbar arrangiert. Zwei arbeitsteilige Hälften bestimmten mein Leben. Ich und ich. Mein lustiger siamesischer Zwilling war für die Frauen zuständig, ich für alles andere. Das andere war mehr als reichlich. Mehr wert als alle Frauen. Wieso also sollte ich zu mir kommen? »Du musst deine abgespaltenen Seiten, die du völlig verdrängst, integrieren«, hatte die Ledrige schon im ›Lentz‹ zu mir gesagt. Furchtbar, wie sie dabei schmatzte! Besonders, wenn sie eine Salzstange in sich schob. Igitt! »Du bist so vital, intelligent, sensibel, die Frauen knien doch vor dir!« Natürlich knieten sie, aber nicht vor mir, sondern vor dem anderen, der ich auch bin, den ich aber wie einen falschen Bruder wohlweislich verschwieg. Wir wechselten nie ein Wort miteinander. Koexistenz knallhart sprachlos. Toleranz zwischen uns auf der ganzen Linie. Ich brauchte mir nur diese Ledertante vor mir anzugucken, wie sie lüstern an der Tischkante hing! Und all die anderen Tanten, die meinem Zwilling nachstellten! Dabei kam er immer mit der gleichen Nummer zum Zuge. Wie im Zirkus. Ein Gefühlsartist mit der Zirkusnummer ›ich spüre dich und gleich kriegst du eine Gänsehaut‹. Bisweilen trainierte er am Telefon. Er rief die Auskunft an oder den Reiseservice von der Deutschen Bahn. »Nach zwei Minuten will sie meine Adresse. Wetten?«
    Die Vibrationen seiner Stimme versetzten die Damen in den Call-Centern in kürzester Zeit in reine Ekstase.
    »Du musst deine wahren Gefühle offenbaren«, ließ die Ledrige nicht locker. » d as wollen die Frauen von euch Männern.« Manchmal, wenn ich nicht einschlafen konnte, versuchte ich die Zahl der Bräute, die alle auf der Suche nach dem wahren Gefühl bei ihm waren, zu zählen. Es war wie das berühmte Schafezählen. Es war ein Zählen ohne Ende.
    »Ich mache

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