Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Sie.«
Er hatte die Hand schon in der Schublade, holte sie aber ohne Formular wieder heraus.
»Gegen mich?«
»Ja, Sie Schießbudenfigur. Wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und Amtsanmaßung. Sie sind widerrechtlich in die Praxis von Frau Valéry eingedrungen und haben kistenweise Unterlagen mitgenommen. Nemec ist umgebracht worden. Wollen Sie einen Mord decken?«
»Mord decken?«, stammelte er. Er hatte völlig den Überblick verloren.
»Was sonst? Nemec ist Opfer eines Mordes. Sie vernichten Beweismaterial mithilfe des BND, der den Mord organisiert hat«, fabulierte ich drauflos.
Etwas arbeitete in ihm wie eine Superrunkelrübe in einer Mastsau mit Verdauungsschwierigkeiten.
»Wir waren doch gar nicht dabei«, entfuhr es ihm schließlich.
»Wer war denn dabei?«
»Frau Valéry hatte hier angerufen. Ganz aufgeregt. Überfall, sagte sie. Wir sind hin. Ein Kollege nur durfte rein. Dann kam er wieder raus.«
Er schwieg.
»Ja und?«
Er druckste herum.
»Mann, jetzt kommen Sie schon«, ermunterte ich ihn. »Hier geht es um Mord an Nemec.«
»Der Kollege sagte, alles in Ordnung. Wir könnten wieder gehen.«
Er schwieg wieder.
»Und wer hat ihm das gesagt?«
»Das hat er nicht gesagt.«
Der Kerl war dickfellig.
»Glauben Sie an einen Unfall?«
Er schaute in die immer noch offene Schublade und holte einen Radiergummi heraus. Er radierte auf der Tischplatte herum.
»Wollen Sie da was wegradieren, was ich wissen müsste?«, versuchte ich ihn auf Trab zu bringen. Die Sache erschien aussichtslos. Aus dieser Mastsau wurde kein guter Schinken. Aber dann kam unverhofft Leben in den Dicklichen. Plötzlich hatte er einen unerwartet intelligenten und pfiffigen Gesichtsausdruck.
»Glauben Sie wirklich, es war Mord?«, fragte er plötzlich.
»Ja!«
Er erhob sich von seinem Stuhl, kam zu mir an den Tresen und stützte mit verschränkten Armen beide Ellenbogen auf.
»Der Nemec war schwer in Ordnung. Ohne ihn hätte ich nach der Scheidung von meiner Frau nicht überlebt. Ich war am Boden. Deswegen sage ich Ihnen das. Der Torsten Meyer hat ihn ja gefunden. Als der tote Nemec im Auto saß. Die Scheibe war auf der Seite vom Nemec runtergekurbelt und der Motor war auch noch an. Als hätte der Nemec mit jemandem geschwätzt durch die offene Scheibe. Der Kopf vom Nemec wäre so verdreht gewesen, hat der Torsten gesagt, und er habe ihn aus dem Auto gezogen und auf den Boden gelegt. War nichts mehr zu machen. Der Nemec war mausetot. Dann hat der Torsten den Motor abgestellt. Er stand völlig unter Schock. Er konnte uns gerade noch Bescheid geben. Er war fix und fertig. Wir von der Wache sind raus und fanden den toten Nemec auf dem Boden liegend. Jetzt kommts.«
Er beugte sich vor.
»Wir haben mit dem Torsten nicht mehr gesprochen. Weil der so unter Schock stand.«
Er sah mir bedeutungsvoll in die Augen.
»Und!«, sagte ich ebenso bedeutungsvoll. »Dann?«
»Die, die Unterlagen bei der Frau Doktor geholt haben, haben mit ihm gesprochen. Und jetzt kommts!«
Wieder sah er mich bedeutungsvoll an. Geradezu konspirativ.
»Was kommt?«, fragte ich flüsternd.
»Die haben dem Torsten gesagt, er soll nicht sagen, dass der Nemec mit verdrehtem Kopf im Auto gesessen hat bei laufendem Motor. Sondern, dass er ihn auf dem Boden liegend gefunden hat. Neben dem Auto. Nichts Auffälliges am Nemec. Ganz normal. Lag da einfach so. Als hielte er ein Nickerchen. Wieso soll ich das sagen, fragte der Torsten. Wegen der Terroristen, hätten die gesagt. Die dürften nicht wissen, dass der Nemec mit verdrehtem Kopf im Auto gesessen hätte. Das sei eine dienstliche Anweisung, dass er nichts anderes sagt. Höchste Geheimstufe. Staatsräson. All so Zeug erzählten sie ihm. Jede andere Aussage sei nicht gut für ihn. Grundsätzlich.«
Er kaute auf seiner Unterlippe.
»Alles klar? Grundsätzlich?«
Grundsätzlich war mir nichts klar. Außer dass man Torsten Meyer auch den Hals umdrehen würde, wenn er nicht parierte, oder wie sonst sollte man die Drohung des BND grundsätzlich verstehen, so, wie man Nemec bei laufendem Motor durch das heruntergekurbelte
Autofenster grundsätzlich das Genick umgedreht hatte. Ich machte eine entsprechende Bewegung.
»Ja, was sonst?«, fragte er fast aufgebracht.
»Und warum erzählt Torsten Meyer Ihnen das?«
»Der Torsten und ich waren im gleichen Kindergarten, zusammen in der Schule, im Musikverein, bei der Kommunion und sind zusammen bei der Polizei. Er schafft im Nachbarort. Wohnt aber hier. Deswegen
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