Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
fahrt der die Streck mit dem Fahrrad. Das hält zusammen, äähna Kopp und ääna Arsch, saan isch Ihne, und die vom BND sind arrogant bis uff die Knoche, logisch vazählt der mir das«, verfiel er in seinen heimischen Dialekt. »Und noch ebbes saan isch Ihne, was do owwe ablaaft im Lager, bei denne Flüchtlinge, da möchte isch nit wisse, was do abgeht.«
Er hatte reine Empörung im Gesicht.
Torsten Meyer war also auch Polizist. Den man zu einer Falschaussage in einem Mordfall bewegte.
»Was geht denn da ab?«, erkundigte ich mich.
»Der Nemec hat mir das gesaat. Mol beiem Glas Bier. Is noch gar nit so lang her. Genaueres hat er net gesaat. Awwa es würde alle Verhältnisse sprenge, hat er gemeint. Unna uns, also das grad hat der Nemec nicht gesaat, viele Buwe aus dem Lager gehen jo all uff de Strich. Irgendwo muss das Kleingeld ja herkomme. Die wolle auch in die Disco. Sie glauben ja gar nicht, wer do alles beim Lager vorfährt. Freier aus der ganzen Region. Nur beweise könne ma nix. Ei wieso soll ich denne Bub nicht spaziere fahren dürfen, sagen die dann, wenn wir die Autos mit den Buwe drin kontrollieren. Diesem Mlasec traue ich alles zu.«
Er nickte mit dem Kopf gedankenschwer.
»Wer ist Mlasec?«
»Das ist der, der wo inoffiziell im Lager das Sagen hat. Bosnier. Ein Mensch wie ein Tier. Ohne den laaft da gar nichts.«
Polizisten betraten die Wache. Der Dickliche hob seinen Oberkörper und stützte sich auf beide Hände.
»Mit dem Nemec, das war nie ein Unfall. Dem hat jemand das Genick umgedreht. Ich muss da was decken, was ich nicht decken will, sagt der Torsten. Das stinkt mir. Sagt er.«
»Würde mir auch nicht gefallen.«
»Wir sind noch am Überlegen, was wir do machen. Schließlich sind wir Polizisten.«
»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie was machen?«
»Ich kenne Sie doch gar nicht.«
»Warum erzählen Sie mir dann alles?«
»Ich hann gesehen, wie Sie in die Praxis von der Frau Doktor Valéry gegangen sind. Die Frau ist astrein. Ich will, dass die den Durchblick hat und dass der Frau nicht auch was passiert wie dem Nemec. Sie hann die Mordtheorie entwickelt. Ich hann nur bestätigt, dass das mehr ist als Theorie. Ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht mehr, wem von meinen Kollegen ich noch trauen kann in der Sach. Da stimmt doch was hinne und vorne nicht!«
Der Mann gefiel mir. Trotz seiner Tapsigkeit. Er war die Ehrlichkeit in Person. Ich überlegte nur kurz.
»Hören Sie, ich komme aus Berlin. Ich kann Ihnen das jetzt nicht im Einzelnen erklären, aber hier läuft eine Riesenkiste. Ich weiß nicht wirklich, was. Ich erzähle Ihnen gerne alles. Ich könnte einen Partner, der von hier ist, gut gebrauchen.« Ich schaute ihn offen an.
»Bin ich dabei. Treffen wir uns heute Abend bei mir. Um acht. Ich wohne in dem Fachwerkhaus über dem › Goldenen Ochsen ‹ . Da drüben.«
Er deutete mit dem Zeigefinger hin und reichte mir dann die Hand.
»Degrange, Martin.«
»Einverstanden. Neuhaus, Fritz. Ihr Freund Torsten hat übrigens allen Grund, auf der Hut zu sein. Sagen Sie ihm das.«
»Das können Sie ihm selber sagen. Der kommt heute Abend auch.«
Mit einem Gruß verließ ich die Wache. Langsam hatte ich die Karten in der Hand. Der BND befahl einem Polizisten eine Falschaussage, um einen Mord zu vertuschen. Wenn der Polizist nun den Mund aufmachte? Da hatte der BND einiges zu erklären. Wieso hatte er ausgerechnet die Praxis von Nemec durchwühlt, dem das Genick gebrochen wurde, ohne dass es im Protokoll stehen durfte? Und was könnte dem Polizisten Torsten Meyer grundsätzlich zustoßen, wenn er auspackte? Noch eine Halsumdrehung? Um einem ausgewachsenen Mann durch das geöffnete Autofenster das Genick zu brechen, brauchte man viel Kraft. Nemec musste seinen Mörder gekannt haben. Warum sonst hielt er auf offener Strecke an und drehte bei laufendem Motor das Fenster herunter? Ich versuchte, mir die Situation vorzustellen. Der Täter winkte Nemec zu, der hielt am Straßenrand zu einem vermeintlichen Schwätzchen an, der Täter lehnte seinen linken Arm auf den Rand der Wagentüre, die beiden plauderten unbefangen, blitzschnell umfasste der Mörder Nemecs Hinterkopf mit der linken Hand, zog ihn an sich heran, legte die rechte Hand ans Kinn und gab ihm mit einem kräftigen Ruck des Kopfes nach rechts den Rest. Dann ging er. Aber warum ließ er den Motor laufen? Vielleicht wurde er von dem heranradelnden Torsten Meyer gestört. Nemec selbst hatte keine Chance. Sein Mörder hatte Übung im
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