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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Und alles lief von selber.
    »Hallo«, sagte die Rothaarige, blieb etwa 10 Meter vor mir stehen, setzte erschöpft den Koffer ab, ein recht kompaktes Ding aus gelbem Rindsleder, und schaute mich an. Ich guckte hinter mich, ob nicht jemand hinter mir saß, den sie anschaute. Aber da saß niemand. Sie konnte nur mich meinen. Sie schaute mich immer noch an. Sie hatte hellgraue Augen. Es waren diese Augen, in die man ohne Absprache, ohne Vorwarnung, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, wie ins endlos Leere, ohne jeden Halt und Widerstand, hineinfiel. Ich fiel. Ich habe bis heute nicht aufgehört zu fallen. Ich war wehrlos. Ich bin gespannt, wo ich aufschlage. An eine geplante Ziellandung glaube ich nicht.
    Doris brachte den Milchkaffee. Die Rothaarige stand neben ihrem Koffer.
    »I need you«, sagte sie grinsend. » h elp me. Schön, dass Sie da sind.«
    Ich stand auf, wie benommen, konnte es nicht fassen, dass sie mich meinte, ging zu ihr, nahm den wirklich sehr schweren, obwohl gar nicht so großen Koffer, ging zurück zu meinem Tisch, sie folgte mir, ich stellte den Koffer ab, sie blieb stehen, wir schauten uns an, ein Gefühl verzehrte mich wie sich schnell ausbreitendes Buschfeuer.
    »Sie sind doch Fritz? Fritz Neuhaus?«, fragte sie.
    »Ja« sagte ich und war nicht erstaunt, dass sie meinen Vornamen wusste, so, als träfen wir uns nicht das erste Mal, aber ich war neugierig, wieso sie meine Hilfe brauchte.
    »Setzen wir uns doch.«
    Wir setzten uns. Sie stellte den Aktenkoffer neben sich. »Ich nehme auch einen Milchkaffee. Mit einem Amaretto.« Ich ging ins ›Dollinger‹ und bestellte. Ich musste am Tresen tief Luft holen. Die mir bis dahin unbekannte Freude, die ich so unerwartet heftig plötzlich spürte, machte mich atemlos. Ich war unerklärlich aufgeregt. Es tat fast weh. Ich musste leise über mich lachen. Mann, Mann. Es hatte mich wie ein rasch aufgezogenes Unwetter erwischt. Ich wartete, bis Doris den Milchkaffee gemacht hatte, und nahm ihn samt dem Amaretto mit zu ihr an den Tisch. Wir tranken gleichzeitig. Die geschäumte Milch schmeckte weich und angenehm. Ich betrachtete die Frau, die aus der Ferne als rasch wachsender Punkt mit einem schweren Reisekoffer und einem Aktenkoffer in mein Leben getreten war. Sie trank in kleinen Schlücken und leckte sich den Schaum von den vollen, geschwungenen Lippen, die in den Mundwinkeln leicht nach oben anstiegen, sodass sie ständig von einem Lächeln umspielt waren. Sie nippte am Amarettoglas. Ihre Lippen schoben sich dabei wie dunkelrot fleischige Schnecken über den Rand des Glases. »Köstliche Melange.« Dann trank sie wieder ein Schlückchen vom Milchkaffee. Sie hatte eine helle, marmorne Haut mit ganz kleinen Sommersprossen.
    »Aaahh«, machte sie und stellte die Tasse ab. »Das tut gut.« Sie wischte sich den Restschaum von der Nase, die durchaus prägnant war. Gerade und fest. Ebenso das etwas keck vorspringende Kinn unter dem vollen Mund, das das ganze Gesicht energisch stützte. Diese Frau strahlte Entschlossenheit aus. Am Gestade des ›Dollinger‹, wo Jean gerade von Meerwasser triefende Austern- und Krebskörbe auslud. Eine Piratin auf Kaperfahrt, mit der ich die Welt eroberte? Es roch nach Tang. »Wie in der Bretagne«, sagte sie, »in Concarneau. Sie waren auch schon dort. Da staunen Sie, dass ich das weiß.« Ich war oft in Concarneau, dieser alten Piratenstadt mit hohen, wehrhaften Festungsmauern. Ich sah die Frau an wie eine alte Bekannte. Sie sah mich an. › Will mich ‹ , sagten die Augen, › und du kriegst alles, was du willst, es hängt von dir ab. ‹ Ich kannte diesen Blick und ich würde für sie alles tun, um ihn festzuhalten, bevor er entwischte. Für immer und unausweichlich. Mich fröstelte. Es würde kein Ende geben. Ich wusste es. Bestenfalls ein halb erträglicher Abschied. Eher Flucht in Panik, Hals über Kopf. Anschließend Vernichtung und Rückzug in höhlenartige Zustände mit narkotisierender Hektik. Es war mir egal. Wie immer es auch enden würde. Ich hatte gar keine andere Chance. Oder ich müsste mich aufgeben. Und diese Frau vor mir im ›Dollinger‹ morgens kurz nach neun war überwältigend. Ich wollte sie. Komme, was wolle.
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich. Sie schaute auf die Uhr, als wollte sie bald aufbrechen. »Ich habe Sie studiert. Fritz Neuhaus, 48 Jahre, geboren in Saarbrücken, kam mit 18 mittellos nach Berlin, heute eine Mischung aus Schnüffler, Moralist, Zyniker, zerstört Firmen, saniert, was

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