Fröhliche Wiederkehr
meinten, es ginge mit einem von uns auf eine schreckliche Art zu Ende. Und Mutter packte den Dittchen zum zweiten Mal an diesem Tage und sauste mit ihm wie die Feuerwehr zu Dr. Kleinschroth in die Praxis. Die Leute, die mit ihren kranken Hunden, Katzen und Kanarienvögeln im Wartezimmer saßen, ließen ihr bei der Schwere des Falles — denn der Dittchen verdrehte bereits die Augen — gern den Vortritt. Der Doktor nahm den Dittchen auch sofort heran, schaute ihm in die Pupillen, riß ihm die Zähne auseinander und roch ihm tief in den Rachen hinein. Und dann gab er dem Dittchen einen kräftigen Schlag auf den Hintern und sagte, ehe Mutter gegen diese rohe Behandlung des lieben Tierchens protestieren konnte: Wissen Sie, verehrte Dame, was mit dem Dittchen los ist? Dieser elende Saudackel ist besoffen wie ein Fürst! Seine ganze Krankheit ist ein richtiges Delirium tremens, und ich möchte wetten, daß er ganze Heerscharen weißer Mäuse sieht. — Er packte den Dittchen beim Genick, ging zur Wasserleitung und hielt den zappelnden Dackel minutenlang unter den kalten Wasserstrahl. Und als er ihn Mutter zurückreichte, grinste er recht hämisch: So, und jetzt versuchen Sie herauszubekommen, wo er sich besäuft, und dann gewöhnen Sie ihm das Saufen ab. Das wird eine schöne Lebensaufgabe werden, gnädige Frau. Und jetzt bekomme ich noch drei Mark. —
Am nächsten Tag lagen wir zu fünft auf der Lauer, Mutter und Anna waren mit dabei und beobachteten, wie der Dittchen nach kurzem Schlaf im Stall hinter den leeren Fässern verschwand, die neben dem Hintereingang zur Bouvainschen Kneipe aufgestapelt standen. Aber nicht, um in ihrem Schatten weiterzudösen. Er schlüpfte hinter ihnen hervor und verschwand im Hause. Und im Lokal vom Bouvain fanden wir ihn unter der Theke an der vollen Schüssel mit Tropfbier, das er selig in sich hineinschlabberte. Herr Bouvain aber, den meine Mutter empört zur Rede stellte, grinste sie aus seinen schrecklichen Nasenlöchern an: Respekt vor so’nem Durst, verehrte Dame, da könnte sich mancher Gast ein Beispiel nehmen! — Und er erzählte feixend, daß unser Dittchen seit einem guten Jahr bei ihm täglicher Stammgast sei und zur Erheiterung der Gäste viel beitrage, denn er benehme sich mit einem Zacken in der Krone akkurat genauso wie ein Mensch. Und akkurat wie einem Menschen haben wir dem Dittchen das Saufen abgewöhnen müssen. Die harte Entziehungskur dauerte über ein Vierteljahr. Eine hohe, große Kiste mit zollstarken Brettern wurde zur Trinkerheilanstalt umfunktioniert, und die Kur war wirklich alles andere als lustig. Zweimal gelang es unserem kleinen Trunkenbold beinahe, die dicken Bretter durchzunagen. Acht Tage lang heulte er wie ein Derwisch und schnappte nach jedem, der sich ihm näherte. Der Doktor kam öfters vorbei und gab dem Dittchen Beruhigungsmittel, die Anna ihm ins Futter mischen mußte. Es war eine harte und lange Kur, aber sie hatte schließlich Erfolg, der Dittchen soff fortan nur Wasser und zeigte sogar deutlichen Ekel, wenn Anna zum Abendessen gelegentlich einen Krug Bier vom Bouvain holte und auf den Tisch stellte. Nur Ernst hörte es nicht allzu gern, wenn ihm der Dittchen zu passenden und unpassenden Gelegenheiten von Vater als leuchtendes Beispiel dafür, daß man sich das Trinken mit einiger Energie abgewöhnen könne, vorgehalten wurde.
Die Vorbereitungen für den Umzug in die große Stadt, der für den Januar geplant war, hielten vor allem Mutter lange vorher in Bewegung. Sie fuhr mit Vater für einige Tage nach Königsberg, um dort eine passende Wohnung zu suchen und deren genaue Maße aufzuzeichnen, damit man sich mit Möbeln und Gardinen auf das neue Heim rechtzeitig vorbereiten konnte. Aber daneben liefen die Vorbereitungen für das letzte Weihnachtsfest im alten Haus. Sie stellten Mutters Gedanken und vor allem ihre Wirtschaftskasse vor Probleme, deren Lösung sie oft genug verzagen ließ. Irgendwie schaffte sie es dann doch immer wieder, sogar in jenem Jahr, als ihr drei Wochen vor dem Fest die Geldbörse mit mehr als hundert Mark aus der Handtasche gestohlen wurde. Vater begann mit den Vorbereitungen für das Fest schon Anfang September, wenn er von der neuen Honigernte den Bärenfang ansetzte. Auf drei Kilo Honig kamen drei Liter Sprit, das gab einen Gesundheitstrank, der mild durch die Kehle floß und die Beine wegzog, als würde dem, der zuviel davon einnahm, der Teppich unter den Füßen weggerissen. Vater nahm ab und zu eine kleine Probe
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