Fröhliche Wiederkehr
Scheunen versteckten...
Ein halbes Jahr später brauchte sie sich um ihr Hannchen keine Sorgen mehr zu machen, jedenfalls nicht meinetwegen, denn Vater ließ sich nach Königsberg versetzen, weil er Ernst, der einer schlagenden Verbindung beigetreten und mehr in der Kneipe als im Hörsaal zu finden war, im Hause unter Aufsicht haben wollte. Else, die inzwischen das Lyzeum abgeschlossen hatte, wollte in Königsberg die Gewerbeschule besuchen. Vater hatte nichts dagegen einzuwenden, daß seine Töchter sich auf einen Beruf vorbereiteten. Es war zwar anzunehmen, daß sie eines Tages heiraten würden, aber er hielt die Ehe für ein Lotteriespiel, bei dem man mehr Nieten als Gewinne zog. Und außerdem gab es noch eine Menge anderer Möglichkeiten, die eine junge Frau zwingen konnten, für sich selber zu sorgen.
In dieser Zeit des nahenden Abschieds von den Freunden und von dem riesigen Spielplatz hinter dem Haus mit seinen vielfältigen Gelegenheiten für Unterhaltung und anatomisch-biologische Studien begann unser Dittchen uns große Sorgen zu machen. Er war gerade acht Jahre alt geworden und stand damit, nach Hundejahren gerechnet, eigentlich im besten Mannesalter. Es war traurig, aber wir mußten uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß es mit dem Dittchen zu Ende ging. Zuerst befürchteten wir wahrhaftig, er hätte sich an der Tollwut angesteckt, denn tollwütige Dachse und Füchse kamen oft genug über die Grenze, und Hundesperren, bei denen der Dittchen nur mit Maulkorb und an der Leine ausgeführt werden mußte, gehörten nicht gerade zu den Seltenheiten. Früher war er der Familie mit seiner Munterkeit am Morgen zuweilen fast auf die Nerven gegangen, aber seit einem guten halben Jahr wachte er, wenn er überhaupt aus seinem Korb aufzustehen geruhte, so ausgesprochen schlecht gelaunt auf, daß man ihn kaum anzusprechen wagte. Unserer Anna, mit der er seit eh und je in einem etwas gespannten Verhältnis lebte, weil sie ihn aus der Küche jagte, wenn er ihr die Besen und Scheuertücher verschleppte, schnappte er eines Morgens bei solch einer Gelegenheit giftig nach der Wade und biß sie, als sie ihm eine aufs Maul geben wollte, bis aufs Blut in die Hand. Aber er soff, er soff mehrmals am Tag seine Wasserschüssel leer, und das sprach ja nun entschieden gegen den Tollwutverdacht. Gegen Mittag wurde er dann etwas lebhafter. Aber es war eine unruhige, sozusagen nervöse Lebhaftigkeit, und er fraß auch ohne rechten Appetit. Wenn ich nach dem Essen zum Spielen auf den Hof lief, folgte er mir zwar, verzog sich aber bald zu einem Mittagsschlaf in die Bouvainschen Ställe und trottete später zum Hause zurück, um Herrn Bouvain einen Besuch abzustatten. Das eigentliche Leiden begann später. Für zwei oder drei Stunden zog er die Hinterläufe nach, als ob er im Rückgrat gelähmt sei, die kurzen krummen Vorderläufe knickten ein, er heulte in langgezogenen Tönen, starrte aus glasigen Augen in die Welt und schnappte nach Gegnern, die nur in seiner Einbildung existierten.
Natürlich brachte Mutter ihn zum Tierarzt. Herr Kleinschroth legte den Dittchen auf den Blechtisch, untersuchte ihn vorn und hinten, drückte an ihm herum und beklopfte und behorchte ihn, und der Dittchen ließ es sich ruhig gefallen, denn vor dem Doktor hatte er den gleichen heiligen Respekt wie ich vor dem Düppeler Invaliden mit seinem Kranich. Und schließlich meinte Herr Kleinschroth, der Dittchen habe wohl eine von uns nicht bemerkte Staupe durchgemacht, und davon könne etwas im Gehirn zurückgeblieben sein. Aber es wäre gewiß kein Schaden, der uns veranlassen könne, dem Dittchen den Gnadentod geben zu lassen. Und mit einer Anspielung, die Mutter ziemlich unfein fand — aber was konnte man von einem Viehdoktor auch schon mehr an Lebensart erwarten? — gab er ihr den Dittchen zurück und sagte: Tscha, gnädige Frau, jünger werden wir leider alle miteinander nicht...
Immerhin, es war eine beruhigende Diagnose, mit der Mutter von dem Arztbesuch heimkam. Der Dittchen bekam einen besonders saftigen Knochen, weil er sich beim Doktor so brav verhalten hatte, und mit dem zog er sich irgendwohin zurück. Und genau drei Stunden später ging es mit ihm endgültig dahin. Wir standen mit Tränen in den Augen um den sterbenden Dittchen herum, er zuckte mit den Pfoten wie ein Epileptiker in einem schweren Anfall, und dazu heulte er, daß das ganze Haus zusammenlief, sogar die Gesellen von Konditor Strauß kamen aus der Backstube heraufgerannt und
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