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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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angekommen, mit Anna, die einiges Handgepäck und in einem geschlossenen Korb unsern Dittchen trug, auf der vorderen Plattform der elektrischen Straßenbahn direkt neben dem Führer stehen. Das einzige, was mich an ihm störte, war seine graue Straßenbahneruniform mit den dicken Filzstiefeln. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er einen goldenen Adlerhelm und einen silbernen Küraß tragen müssen. Ich bewunderte ihn hingerissen, wie er Motorwagen und Anhänger mit seiner Kurbel kühn durch die Kurven steuerte und dabei mit der Fußglocke laute Warnsignale abgab, die Fußgänger und Fuhrwerke von den Schienen scheuchten. Die Eltern, die die neue Wohnung wenigstens soweit einrichten wollten, daß sie zum Schlafen bezogen werden konnte, gaben mich bei Tante Minchen, der Witwe von Onkel Benjamin ab, und es gelang mir, die alte Dame zu beschwatzen, mit mir >Elektrische< zu fahren. Sie opferte viele, viele Groschen und den ganzen langen Nachmittag des trüben und naßkalten Januartages dafür. Am nächsten Tag begann sie zu husten, dann bekam sie hohes Fieber und entging nur mit knapper Not einer Lungenentzündung. Das Bett durfte sie erst vier Wochen später verlassen. Sie war eine kleine, korpulente, ungewöhnlich sanftmütige Frau, und sie lebte noch einige Jahre. Mir begegnete sie seit unserer ersten Begegnung mit reservierter Kühle und ließ mich in ihrem Testament, in dem meine Geschwister reich bedacht wurden, leer ausgehen.
    Die neue Wohnung in der Ziegelstraße besaß in den beiden großen Vorderzimmern und im sogenannten Kabinett, einem fensterlosen Raum zwischen Vorder- und Rückfront des Hauses, den sich die Eltern als Schlafzimmer einrichteten, Gasbeleuchtung. Das war eine große Sensation und eine sehr erfreuliche Sache für Anna, die fortan einige Zylinder von Petroleumlampen weniger zu putzen hatte. Ich bekam wieder einmal eindringlich zu hören, daß ich nie und nimmer an den Hähnen drehen dürfe, denn die zweite Ursache für das Hinsterben von Kindern und ganzen Familien schien mit der Gasbeleuchtung zusammenzuhängen. So blieb die Begegnung mit der Straßenbahn für lange Zeit das einzige, was mich mit dem Umzug in die große Stadt versöhnte. Daran änderte auch der Besuch des Tiergartens nichts, denn dort war im Winter nicht viel los; Löwen, Tiger, Affen, Schlangen und Krokodile hatte man in die heizbaren Unterkünfte verlegt, und dort stank es fürchterlich.
    Wir bewohnten das Hochparterre eines dreistöckigen Mietshauses. Die Wohnung über uns gehörte Herrn Kliewer, dem Hausbesitzer, der nebenbei eine Versicherungsagentur betrieb. Sein Sohn Alfred, drei Jahre älter als ich und nicht viel größer, dafür aber doppelt so breit, zeigte mir gleich bei der ersten Begegnung, wer hier der Herr im Hause war. Das gab mir Veranlassung, eifrig mit den Hanteln von Ernst zu trainieren, aber trotz allem Bodybuilding gelang es mir in den vier Jahren, die wir in der Ziegelstraße wohnten, nicht, ihn auf die Schultern zu legen. Das ließ eine Wunde in meiner Seele zurück. Im dritten Stockwerk wies ein schlichtes Emailschild Herrn v. Schwarz als Wohnungsinhaber aus, aber er ließ sich sehr selten in der Wohnung blicken. Ihm gehörte das Rittergut Grünau in der fruchtbaren Pregelniederung, dreitausend Morgen besten Weidelandes, dessen Bewirtschaftung ihn voll in Anspruch nahm. Und außerdem war er Reichstagsabgeordneter. Vater zog vor ihm sehr tief den Hut. In der Wohnung lebten fünf seiner Kinder, vier Söhne und eine Tochter, die von einer würdevollen und strengblickenden Hausdame, Frau John, betreut wurden. Der älteste Sohn trug den weißen Stürmer des Corps Baltia, und der jüngste v. Schwarz war Tertianer auf dem Löbenicht und hielt zu mir trotz meiner Bewunderung für ihn kühle Distanz. Denn einmal erlöste er mich, als ich halberstickt bei Alfred Kliewer im Schwitzkasten hing, und prügelte den starken Alfred windelweich und drohte ihm eine noch fürchterlichere Abreibung an, wenn er ihn noch einmal dabei erwische, daß er einen kleineren und schwächeren Jungen peinige.
    Mit den oberen Stockwerken verbanden mich also keine angenehmen oder freundlichen Beziehungen. Um so besser wurden diese im Laufe der Zeit mit Hinterhaus und Keller. In den Keller führte von der Straße eine steile Treppe in die Bierniederlage von Frau Puschke, einer alten zahnlosen Witwe, die nebenbei einen kleinen Handel mit Obst und Gemüse betrieb. Weshalb die Kinder aus der Nachbarschaft sie nur die >Donnerbuchs<

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