Fröhliche Wiederkehr
deren Bedeutung ich auch nicht zu forschen wagte. Erst, als ich in den nächsten Tagen von den Großeltern zu Kakao und frischen Waffeln eingeladen, den Großvater fragte, weshalb denn nun eigentlich Kaviar dem Vater wieder auf die Mutter helfe, verschluckte er sich so sehr, daß er fast erstickt wäre. Eine Antwort auf meine Frage bekam ich leider von ihm auch nicht.
Ich kann mir nicht denken, daß diese seltenen Fahrten nach Prostken sehr kostspielig waren. Gewiß, Kaviar war immer schon eine Delikatesse und nicht gerade billig, aber da die Damen den Zoll umgingen, kamen sie sicherlich recht preiswert dazu. Richtige Extravaganzen hätten sich die Eltern nie geleistet, weil sie sie sich gar nicht leisten konnten. Sein Gehalt brachte Vater an den Quartalsenden heim. Er erhielt es in Gold ausbezahlt und schüttete es aus einem grauen Leinenbeutel vor Mutter auf den Eßtisch aus. Sie besaß einen kleinen, sehr hübschen Nähtisch, den sie in die Ehe mitgebracht hatte. Er enthielt unzählige Fächer und kleine Schubladen, die sie ihrem eigentlichen Zweck entfremdete und als Tresor benutzte. Ein Goldstück steckte Vater für seine persönlichen Ausgaben ins Portemonnaie, den Rest verteilte Mutter auf die Fächer und Schubladen, die alle kleine Etiketten mit Aufschriften trugen: Schuster, Fleischer, Bäcker, Schulgeld, Kohlen, Bücher - Hefte, Wäsche, Schneiderin und so weiter und so weiter. Vater schaute zu, wenn sie die Goldstücke verteilte und brummte dazu eine Strophe des Rückert-Liedes >Aus der Jugendzeit : wenn ich wiederkomm, wenn ich wiederkomm, sind Kisten und Kasten leer...<
Und sie waren leer, bis auf eine kleine schäbige Reserve aus Silber und Trompetengold ratzeputze leer, meistens schon eine lange Woche vor Beginn des neuen Quartals. Dann half Großmutter aus ihrer Wirtschaftskasse aus, oder es gab acht Tage lang abwechselnd Kartoffelsuppe, Lungenhaschee oder Rinderfleck, auch Kartoffelpuffer und Stinte in sauersüßer Soße. Vater war es völlig gleichgültig, was auf den Tisch kam, es mußte nur schmackhaft zubereitet und viel sein, denn er war ein gigantischer Fresser und wog, ohne daß man ihn dick nennen konnte oder daß er einen Bauch hatte, über zweieinhalb Zentner. Mit zwanzig bis dreißig Eiern zum Frühstück, mit einer zehnpfündigen Gans oder mit vierzig Kartoffelpuffern, von denen drei auf Mutters größte Pfanne gingen, wurde er spielend fertig. (Meine zweite Frau, die mir meine Erzählungen über Vaters enormen Appetit nie so recht abnehmen wollte und ihn erst an seinem neunzigsten Geburtstag kennenlernte, sah mit immer größer werdenden Augen mit an, wie er zwei Teller einer bouillabaisse-ähnlichen Fischsuppe, Mutters Spezialität, einen großen Karpfen mit Bergen von buttergetränkten Kartoffeln und zum Nachtisch ein halbes Dutzend Birnen von der Sorte Gute Luise verputzte.) Auch sein Konsum an Zigarren war gewaltig. Er bevorzugte schwarze Brasil und beneidete den Fürsten Bismarck, den er verehrte, glühend um jene Zigarrenspitze, aus der man zwei Zigarren gleichzeitig rauchen konnte; aber diese Spitze hätte wohl seine finanziellen Möglichkeiten überstiegen.
Vielleicht lag es auch an Vaters ungeheurem Appetit, daß wir uns Urlaubsreisen zu fernen Zielen nicht erlauben konnten oder nicht unternahmen, weil es keine Gasthausküche der Welt gab, die ihm die Portionen vorsetzte, die er zur Erhaltung seiner Körperkräfte für nötig hielt. Meine Schwestern lieferte Vater in den Schulferien bei ihrer Tante Marie in Alt-Uckta ab, wo sie unter guter Aufsicht standen. Darauf legte er großen Wert, besonders bei Else, bei der er auch irgendwo Ameisen zu entdecken fürchtete. Sie war ein bildhübsches, schwarzhaariges Mädchen mit märchenhaft blauen Augen, hinter der nicht nur die Primaner, sondern auch die Leutnants der Garnison herwaren. Ich glaube nicht, daß sie mich besonders liebte, denn Mutter, um ihre Tugend genauso besorgt wie Vater, bestand darauf, daß sie mich zu allen Besorgungen, die sie in der Stadt zu machen hatte, stets mitnehmen mußte. Meiner Rolle als Garde de vertu war ich mir gewiß nicht bewußt, aber daß ich ein äußerst lästiges Anhängsel war, ist sicher, denn ich liebte sie eifersüchtig und ließ keinen Verehrer in ihre Nähe. Lotte war noch zu jung, um ernsthaft gefährdet zu sein. Ernst durfte zu Onkel Benjamin nach Königsberg fahren, wo er in einem Hause von weit üppigerem Zuschnitt als unserm verwöhnt wurde, oder Vater schickte ihn nach Nikolaiken,
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