Fröhliche Wiederkehr
Oma auf dich wartet.« Sie erwartete mich tatsächlich mit der großen Goldrandtasse in der Hand, die bis zum Rand mit einem so steif geschlagenen Zuckerei gefüllt war, daß der Löffel darin stand. Kein Mensch auf der Welt machte das Großmutter nach, und kein Mensch brachte solch einen köstlichen Geschmack zuwege. Sie schlug und klopfte das Ei in der Tasse aber auch eine gute halbe Stunde lang und fügte zum Schluß noch einen Teelöffel Vanillezucker und einen Fingerhut voll Rum dazu. Das gab dem schaumigen Genuß erst die pikante Würze.
Mutter verließ uns nach wenigen Stunden und fuhr mit dem letzten Zug nach Königsberg zurück, nicht, ohne mich eindringlich ermahnt zu haben, mich manierlich zu betragen. Auch die Großeltern hatten inzwischen eine neue Wohnung bezogen. In der alten hatten sie im zweiten Stockwerk gewohnt, aber so viele Stufen zu steigen war Großvater zu mühsam geworden, und so waren sie ins erste Stockwerk eines
Hauses übersiedelt, das in einer ruhigen Nebenstraße der Bahnhofstraße hinter der Post lag. Großvater hatte es weder zu seiner Stammkneipe bei Bienkowski, wo er seinen Frühschoppen nahm, noch zur Konditorei von Cabalzar, wo er abends sein Schlummertulpchen schlürfte, allzu weit. Er nahm mich zum Frühschoppen und zum Abendtrunk mit; bei Bienkowski bekam ich eine Limonade, und bei Cabalzar durfte ich zwischen Florentinern, Napoleonschnitten oder Liebesknochen wählen. Zu unserer alten Wohnung und zum Bouvainschen Hof, wo ich die alten Freunde wiederfand, war es ein Katzensprung. Nur Herr Bouvain selbst erschreckte mich beim ersten Wiedersehen, denn so grauslich hatte ich seine Nasenlöcher nicht in Erinnerung; aber ich gewöhnte mich rasch wieder an seinen Anblick.
Leider unterbrach ein Zwischenfall, der für Großmutter sehr unangenehme Folgen hatte, schon nach wenigen Wochen die glücklichen Tage. Wie Großvater mich in seine Stammlokale mitnahm, so durfte ich Großmutter bei ihren Einkäufen und Besorgungen begleiten, und auch dabei fiel oft etwas für mich ab. Auf dem riesigen Marktplatz fand an jedem Mittwoch der Wochenmarkt statt. Hunderte von Bauern aus der Umgebung verkauften hier von ihren Wagen herab Butter, Eier, Geflügel, Käse, Kartoffeln, Obst, Gemüse und Fische. Großmutter ging von Stand zu Stand, nahm mit dem Daumennagel Butterproben, fand eine zu sauer und die andere zu stark gesalzen und ließ sich Zeit, ehe sie sich zum Kauf entschloß. Ich probte eifrig mit, besonders, wenn es um den Einkauf von Käse ging, wobei man Probeschnitten von einer Größe zugereicht bekam, die die Tagesration an Käse eines kalorienbewußten und infarktängstlichen Zeitgenossen unserer Tage weit übersteigen würde. Zum Schluß kaufte Großmutter einen großen Hecht, den sie uns, mit Speck gespickt, Kräutern gefüllt und Sahne übergossen, backen und zum Mittagessen vorsetzen wollte. Als sie ihn daheim auf dem Küchentisch ausnahm und schuppte war der Hecht leider nicht so tot, wie er es hätte sein sollen. Er schnappte zu und biß Großmutter mit seinen dolchartigen nadelspitzen Zähnen tief in den Daumen. Großmutter wusch die blutende Wunde mit essigsaurer Tonerde aus und wickelte einen Lappen darüber. Der Hecht geriet ihr ausgezeichnet, wir verspeisten ihn mit Appetit, und Großvater holte aus dem Kopf des Hechtes die ganzen Marterwerkzeuge heraus, die in der Passionsgeschichte eine Rolle spielen, die Dornenkrone, das Kreuz, die Nägel, den Hammer und die Lanze, mit der der Kriegsknecht dem Gekreuzigten die Seite geöffnet hatte. Am Abend aber begann Großmutters Daumen zu schmerzen, und nach einer schlaflosen Nacht entdeckte sie am nächsten Morgen rote Streifen auf ihrem Arm, die sich bis zum Ellenbogen hinaufzogen. Es wurde eine schlimme Blutvergiftung daraus, so schlimm, daß der Sanitätsrat Wollschläger Großvater darauf vorbereitete, Großmutters Arm müsse womöglich bis zum Ellenbogen abgenommen werden. Der Arm wurde ihr nicht abgenommen, aber sie lag vierzehn Tage im Krankenhaus und mußte den Arm, als sie herauskam, noch lange in der Schlinge tragen, denn der Sanitätsrat hatte am Daumen erheblich herumgeschnippelt.
Großvater war völlig durcheinander. Daß so etwas seinem Krümelchen passieren mußte! Er sprach es nicht aus, aber man sah ihm an, was er dachte: daß sie ihm so was antat! Er schlich grämlich herum und bedauerte sich selbst am meisten. Und was sollte er nun mit mir anfangen? Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten, entweder mich zu den
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