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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Auftritt gehabt habe. Aber keiner war sich einer Schuld bewußt.
    Etwa eine Woche später begegneten Onkel Aurel und der Tierarzt Herrn Kapust in Neuendorf wieder, fingen ihn ab und wollten ihn wegen seines merkwürdigen Verhaltens zur Rede stellen. Am besten, man bereinigte die Geschichte bei einem Bierchen, aber der Inspektor sträubte sich heftig gegen den Kneipenbesuch, was wiederum Onkel Aurel und Tierarzt Bolutus so seltsam, wenn nicht gar beleidigend fanden, daß sie den Bauinspektor hart bedrängten, jetzt müsse er mit der Sprache heraus, was er gegen ihre Gesellschaft einzuwenden habe.
    »Doch nichts gegen Sie persönlich, meine Herren!« murmelte Herr Kapust unglücklich und verstört, »es ist eine ganz andere Geschichte — und schön, wenn Sie mich so bedrängen, dann muß ich Ihnen wohl sagen, worum es geht, aber nur unter der Bedingung, daß die Sache unter uns bleibt! Ehrenwort?«
    »Ehrenwort!«
    »Also hören Sie, Sie wissen ja, wie das in meinem Beruf zugeht. Da ist hier ein Neubau zu besichtigen, und dort ein anderer, und hier soll man einen Bauplan prüfen, und dort einen baufälligen Stall untersuchen, und dazu kommen die Richtfeste, und überall wird man eingeladen, na schön, und so kippt man hier einen Schnaps, und dort einen, und beim dritten und vierten sagt man leider auch nicht nein, und so geht die Leier jahraus und jahrein... Also, meine Herren, um es kurz zu machen: als ich neulich beim Piontek in Marggrabowa in die Gaststube komme und Sie beide und den alten Rektor Perkun vor mir sitzen sehe und gerade zu Ihnen gehen und Sie begrüßen will, was glauben Sie, was ich da zwischen Ihnen stehen sehe? Nein, Sie können es nie im Leben erraten — einen Esel! Grau vom Kopf bis zum Schwanz! Einen zuckerfressenden Esel!! Verstehen Sie nun, was ich mir feierlich geschworen und bis zum heutigen Tag gehalten habe? Von dem verfluchten Schnaps kommt mir kein Tropfen mehr über die Lippen!«
    Kallinowen war ein großes Dorf mit einer wehrhaften, von dicken Mauern umgebenen Kirche, in deren Schutz und zu deren Verteidigung sich die Dorfbewohner und Bauern der nahen Umgebung bei früheren Polen- und Tatareneinfällen geflüchtet hatten. In dieser Wehrkirche wirkte in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der Pfarrer Michael Pogorcelski; er war hier auch gestorben, und sein Grabstein mit den Daten seines Lebens 1740—1798 stand über seinem von seinen Nachfolgern im Amt liebevoll gepflegten Grabhügel. Ein Original, das mit Anekdoten aus seinem Leben und mit seinen Predigten und Gedichten weit über das Dorf hinaus in der ganzen Provinz in lebendigem Gedächtnis geblieben war. Ein Zeitgenosse des schwäbischen Pfarrers Michael von Jung, der seine verstorbenen Gemeindemitglieder mit todernst gemeinten, aber hinreißend komischen Balladen zu Gitarrenbegleitung im 6/8-Takt unter die Erde brachte. Wenn es auf Prioritätsrechte ankäme, dann ständen sie sogar dem Pfarrer aus Kallinowen zu, denn immerhin dichtete er seine nachdenklichen Strophen dreißig oder vierzig Jahre vor seinem schwäbischen Amtsbruder.

Ich saß in Dunkelheiten
und dacht an Ewigkeiten.
Da kam ein Wanzker bunter
ganz keck an Wand herunter,
kam nah mir vors Gesicht,
da macht ich dies Gedicht.

Wir Menschen sind wie Wanzker,
oft keck, oft ohn Courage,
sind rechte dumme Hansker
und doch von hoch Etage
die gern sich mögen zeigen
als wärn sie Wunder was —
und ist doch still zu schweigen
von solchem Hoheitsspaß.

Heißt mancher groß und edel
der stolz herumspaziert
und hat doch nichts im Schädel
von Tugend nix passiert.
Denn wenn man recht drauf achtet
ist’s kein Johannswurm nicht,
vielmehr, nahbei betrachtet
kommt Wanzker vors Gesicht.

Drum Mensch, laß dir nicht blenden
von solcher Gloria,
merk, wie sich bald wird wenden
die ganzHistoria.
In kurzem gehts bergunter
denn Menschenleben rennt,
oft ist man fix und munter —
und wie siehts aus am End?

Einst kommen Ewigkeiten!
Wohl dem, der wenn Tod winkt
hat Wohlgeruch bei Leuten
und nicht wie Wanzker stinkt!

    Am berühmtesten aber waren doch Pfarrer Pogorcelskis Predigten gegen die Trunksucht. Großvater, ein Gesellschaftsmensch, hatte es mit ihrem Vortrag zur Meisterschaft gebracht und erzielte seine größte Wirkung dadurch, daß er in sein breites Ostpreußisch masurische Sprachbrocken mischte. Zum besseren Verständnis werde ich die Predigt ohne Großvaters masurische Extrawürze vortragen:
    Liebe Gemeinde! Aus gegebenem Anlaß muß ich an diesem heiligen Sonntag

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